Der US-General, der sich vom Krieg freikaufen wollte
Die Freundschaftsanfrage auf Facebook von dem attraktiven Unbekannten erhält sie Ende November 2018. Keine drei Wochen später, Mitte Dezember, kurz vor Weihnachten, hat sie ihm ihr komplettes Vermögen überwiesen.
124.000 Euro. Verschwunden in irgendwelchen dunklen Kanälen und auf irgendwelchen Bankkonten in der Türkei. Ihre komplette Altersvorsorge. Ihre finanzielle Flexibilität, die sie eigentlich bräuchte, um ihren Betrieb am Laufen zu halten. Was bleibt? Scham. Und die Erkenntnis, auf ein perfides Spiel mit der Liebe hereingefallen zu sein.
„Die schlimmste Zeit meines Lebens liegt hinter mir. Ich hoffe jedenfalls, dass ich sie hinter mir habe. Wie konnte ich das nur tun?“, sagt Christina, die weder ihren echten Namen noch ihren Wohnort öffentlich machen will. Was sie unbedingt öffentlich machen will, ist ihre Geschichte. Als warnendes Beispiel. Denn Christina ist Opfer von Romance Scamming geworden.
Romance Scamming ist eine Spielart des Internetbetrugs. Die Täter sind gut organisiert und gut geschult. Sie nutzen die Sehnsüchte ihrer Opfer aus. Sie erwecken den Anschein, ihre Bedürfnisse befriedigen zu können. Das Bedürfnis nach emotionaler Nähe oder gleich nach Liebe. Oder nach Wertschätzung. Oder, wie in Christinas Fall, den Wunsch, wieder einmal umworben zu werden, als Frau wahrgenommen zu werden, die auch im Alter von mehr als 50 Jahren noch anziehend ist. Dazu erfinden die Täter Menschen und Schicksale, bauen mit nichts als Worten und Dokumentenfälschungen vermeintliche Existenzen auf, umschmeicheln, appellieren an die Hilfsbereitschaft ihrer Opfer, üben Druck aus – zunächst sanft, dann immer vehementer.
„Die schlimmste Zeit meines Lebens liegt hinter mir. Ich hoffe jedenfalls, dass ich sie hinter mir habe. Wie konnte ich das nur tun?“
Die Geschichte, die Christina serviert bekommt? Der Unbekannte sei US-General Gray Ferguson, behauptet er, aktuell befinde er sich im Kampfeinsatz in Afghanistan. Er sei Witwer und habe einen Sohn, der in London in einem US-Militärkrankenhaus liege, schwer krank. Seit fünf Jahren habe er sein Kind nicht mehr gesehen, so geht die Lüge weiter. Den Krieg ertrage er nicht mehr. Zwar gäbe es die Möglichkeit, Afghanistan zu verlassen, indem er sich bei den Vereinten Nationen (UN) freikaufe. Doch da er aber gerade im Kriegsgebiet stationiert sei, komme er auch nicht an sein beachtliches Vermögen heran, das sicher in den USA auf seinem Konto lagere – ein Sicherheitsmechanismus, der bei US-Soldaten im Ausland automatisch greife. Ein US-General im Krieg, der sich bei der UN vom Kampfeinsatz freikaufen kann? Kann das sein? Wird man da nicht misstrauisch? Vielleicht nicht oder nicht gleich, wenn man wie Christina seit vielen Jahren ohne Partner ist. Vielleicht nicht, wenn man wie Christina in unzähligen Nachrichten galant umgarnt wird. Von einem General, der ihr morgens einen schönen Tag wünscht und ihr abends seine Liebe schwört. Vielleicht nicht, wenn man als Opfer plötzlich E-Mails von den UN erhält, Dienstsiegel inklusive. Schnell hat sie Gray von der etwas umständlichen Konversation auf Facebook zu einem Messenger-Dienst umgeleitet, wo er mit großer Fantasie und kruden Details sein Netz aus Lügen immer fester um sie webt. „Es war alles sehr vertrauenswürdig“, sagt Christina. Tatsächlich hat sie kaum eine Chance gegen die kriminelle Energie, mit der sie in die mentale Zange genommen wird. Der General fordert sie auf, einen elektronischen Bittbrief an die Vereinten Nationen zu schicken, um dort um seine Demission nachzusuchen, und nennt ihr gleich den Empfänger. Sie kommt dem nach, die UN antworten ihr. Mit einer E-Mail, deren Absenderadresse sie bei genauerem Hinsehen eigentlich gleich als Fälschung auffliegen lässt – vorausgesetzt, man kennt sich ein wenig aus mit der Kennung von E-Mail-Adressen. Aber wer tut das schon? Dann bekommt sie weitere E-Mails, diesmal vom Arzt, der den Sohn des Generals in London behandelt. Wieder Fälschungen, die auf den ersten Blick suggerieren, beim Absender könne es sich tatsächlich um den handeln, der vorgibt, die E-Mail zu schicken. Und so geht es weiter. Und weiter.
Gegen die Flut an mitleidserregenden Details, verzweifelten Nachrichten, gefälschten Dokumenten und schwülstigen Komplimenten hat Christina keine Chance. Als sie weich genug ist, schlägt der General zu. Und bittet sie um Geld. Zwischen dem Kennenlernen und dieser fast schon finalen Stufe ist nicht viel Zeit vergangen – kaum zwei Wochen. Aber Zeit, in der ein ungeheuerlicher Druck auf Christina aufgebaut worden ist. Und dem sie jetzt nachgibt, indem sie ihr komplettes Barvermögen von verschiedenen Konten zusammenträgt und es auf die Reise in die Türkei schickt, wo angeblich der Mittelsmann der UN beheimatet ist. Am 10. Dezember überweist sie den UN, so glaubt sie zumindest, 23.600 Euro, um den General aus seiner Auslandsmission herauszukaufen. Am 13. Dezember sind es 38.000 Euro. Und eine Woche später die stattliche Summe von 62.980 Euro. Als sie von einem Bankmitarbeiter auf ihre ungewöhnlichen Transaktionen in die Türkei angesprochen wird, lügt sie ihn an, erzählt, sie habe dort vor, einen zweiten Betrieb zu gründen. Das Geld benötige ihr türkischer Geschäftspartner, um das Projekt anzuschieben. Christina war wiederholt eingetrichtert worden, niemandem etwas zu erzählen, um die Abreise des Generals nicht zu gefährden.
„Ich habe kein einziges Mal daran gedacht, dass ich mich selbst ruinieren könnte. In diesen Momenten wollte ich das Geld unbedingt überweisen, schließlich hatte ich ein Ziel vor Augen, da war mir auch egal, was andere von mir denken“, sagt Christina.
„Ich habe kein einziges Mal daran gedacht, dass ich mich selbst ruinieren könnte. In diesen Momenten wollte ich das Geld unbedingt überweisen, schließlich hatte ich ein Ziel vor Augen..“
Dann die Nachricht aus Afghanistan: Die UN habe die Zahlung angenommen, Gray könne ausreisen, er werde nun gemeinsam mit seinen engsten Mitarbeitern einen Flieger besteigen und schon bald bei ihr sein, um gemeinsam mit ihr Weihnachten zu feiern. Sie eilt zum besten Hotel der Stadt, bestellt und bezahlt sieben Zimmer für den Stab des Generals – und für ihn selbst standesgemäß eine Suite, die sie noch weihnachtlich dekoriert. Weitere rund 11.000 Euro. Wenig überraschend: Der General kommt nicht. Die Zahlung sei doch nicht ausreichend gewesen, die UN wolle ihn nicht gehen lassen, Christina müsse noch mehr Geld überweisen. „Ich habe ihm dutzendfach geschrieben, dass ich nichts mehr habe“, schildert Christina. Die Bankkonten: leer. Ihre über Jahre aufgebaute Selbstständigkeit: gefährdet, weil eine ihrer Mitarbeiterinnen in Mutterschutz geht und sie keine finanziellen Mittel mehr hat, sie durch weiteres Personal zu ersetzen, so erzählt sie. Der Druck auf sie bleibt groß. Da der General nicht ausreisen konnte, sei er nun bei einem Einsatz verletzt worden. Zum Beweis schickt man ihr ein Foto. Eine billige Fotomontage. Und weitere billige Lügen folgen. Wenig später sitzt Christina mit einem Bekannten an einer Hotelbar. Sie hat das Bedürfnis zu reden. Endlich mal jemandem ein wenig von ihrer Geschichte erzählen zu können. Dass sie helfen wollte und jetzt eigentlich pleite ist. Und ob der Bekannte nicht ihren Betrieb kaufen wolle? Der Mann hört zu und fragt nach. Und sie zeigt ihm die E-Mails, die er sofort als Fälschungen entlarvt. Ein paar Tage später geht sie zur Polizei. Die macht ihr wenig Hoffnung, schließlich sei sie wahrscheinlich einer Bande aufgesessen, die aus dem Ausland agiert. An die heranzukommen sei schwer. Christina ist enttäuscht.
Hilfe findet sie trotzdem. Vom WEISSEN RING hat sie mal gehört, und dass man dort auch Betrugsopfern hilft. Sie nimmt Kontakt mit der örtlichen Außenstelle auf. „Da war ein Mensch, der mich ein bisschen verstehen konnte, der mich ernstgenommen hat. Das war für mich ein gutes Erlebnis, denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich komplett mein Selbstwertgefühl verloren“, erinnert sie sich. Bei der Opferhilfeorganisation findet sie ein offenes Ohr – die Gespräche helfen ihr, mit ihrem Leid besser klarzukommen. Und neue Hoffnung zu schöpfen. „Ich hatte abgeschlossen mit meinem normalen Leben, habe mich schon auf dem Sozialamt und bei den Obdachlosen gesehen“, erzählt Christina. Dass es den General nicht gibt, hat sie mittlerweile realisiert. Dass sie das Opfer einer perfiden Betrugsmasche geworden ist, auch. „Das Schlimmste für mich ist, im Nachhinein alles nochmals Revue passieren zu lassen und mich darüber wundern zu müssen, wie dumm ich sein konnte“, gibt Christina unumwunden zu. Heute, mit ein wenig Abstand, ist auch ihr Kampfgeist wieder zurück. „Ich muss versuchen, irgendetwas von meinem Verlust wieder wettzumachen. Und ich will, dass meine Geschichte bekannt wird, um anderen als abschreckendes Beispiel zu dienen“, sagt sie.