Auch Männer werden verletzt und geschlagen
Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass jeder zweite Mann im Laufe seines Lebens einmal von Partnerschaftsgewalt betroffen war. Rund 39% berichteten von psychischer Gewalt und über 29% von körperlicher. Die Zahlen männlicher Opfer in Partnerschaften sind zwischen 2022 und 2023 um 10,9% angestiegen.
Wenn es um Partnerschaftsgewalt bzw. Gewalt in den eigenen vier Wänden geht, ist die öffentliche Wahrnehmung zum Großteil auf Frauen gerichtet. Männer werden meist als Täter wahrgenommen. Das ist fatal – auch Männer werden Opfer von Partnerschaftsgewalt. Auch sie sind in ihrem Zuhause von Gewalt betroffen. Der WEISSE RING steht allen Menschen, die von Gewalt betroffen sind zur Seite – unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Staatsangehörigkeit oder politischer Überzeugung.
Laut offizieller Kriminalstatistik im Jahr 2023 wurden über 34.000 betroffene Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt. Ihr Leid wird zu oft übersehen, ignoriert und nur selten thematisiert. Tatsache ist: Männer sind nicht nur Täter. Auch sie werden in Beziehungen zum Opfer und leiden. Sie werden psychisch unter Druck gesetzt, bedroht und geschlagen. Die Gewalt als solche nehmen betroffene Männer häufig nicht wahr, sondern tun sie als Beziehungsproblem ab.
Jungs, wir müssen reden...
Gewalt ist für viele ein Männerthema. Gewalt gehört halt dazu.
Von Männern ausgeübte Gewalt richtet sich mehrheitlich gegen Männer und findet in der Öffentlichkeit statt. Partnerschaftsgewalt hingegen bleibt oft im Verborgenen, da Täter:innen die Gewalt meist im privaten Raum ausüben.
Im Gegensatz zu Gewalt unter Männern ist Partnerschaftsgewalt mit großer Scham und Eigenschaften wie Schwäche und fehlender Durchsetzungsfähigkeit assoziiert. Auch durch die medial teils einseitige Darstellung besteht gesamtgesellschaftlich ein verzerrtes Bild über die vermeintlich ausschließlich männliche Täterrolle.
Darüber hinaus finden Männer in der Debatte um Partnerschaftsgewalt als Opfer viel zu wenig Aufmerksamkeit, die Folge sind unzureichende Hilfsangebote. In ganz Deutschland gibt es gerade einmal 12 Männerschutzeinrichtungen, während die Anzahl der Opfer 2023 zum Vorjahr mehr als doppelt so stark angestiegen ist wie bei weiblichen Opfern.
Das Aufwiegen der Betroffenheit macht alle zu Verlierern! Jedes Opfer ist eins zu viel. Sich einzugestehen und zuzulassen Hilfe anzunehmen ist nicht einfach – lohnt sich aber, das zeigt auch der Fall von Joshua.
Joshuas Geschichte ist eine von vielen...
„Ich konnte niemandem von der Eifersucht und Gewalt meiner Frau erzählen. Wie hätte das denn ausgesehen?“
Joshua N.
Ein Albtraum beginnt
Joshua N. war bereits zwei Jahre mit Jenny N. verheiratet, als ihre Eifersucht extreme Formen annahm. Völlig grundlos. Sobald Joshua von einer Arbeitskollegin erzählte oder berichtete, wie er zufälligerweise einer alten Schulfreundin begegnet war, bekam sie heftige Wutausbrüche und wurde handgreiflich gegenüber ihrem Ehemann. Dann folgte meist eine leidenschaftliche Versöhnung und alles war vergessen. Joshua war in solchen Momenten wie erstarrt und suchte die Schuld bei sich. Die Situation eskalierte, als eine neue Nachbarin einzog, eine junge Studentin. Aus jeder noch so belanglosen Begegnung im Hausflur machte Jenny ein Riesendrama. Und sein Leben zur Hölle. Sie tobte, prügelte auf Joshua ein und warf Dinge nach ihm. Einmal traf sie ihn mit einer Schere, die Verletzung an seinem Arm musste genäht werden. Mit fünf Stichen. Joshua schwieg, die Gewalt ging weiter.
Die Gewaltspirale dreht sich weiter
Das Misstrauen seiner Ehefrau wuchs. Dazu kamen ständige Nachstellungen und Kontrollanrufe auf der Arbeit und beim Sport. Was dann an einem Donnerstagabend passierte, hätte Joshua N. niemals für möglich gehalten. Seine Frau vergriff sich sexuell an ihm. Er lag bereits schlafend im Bett, als sie nachts angetrunken von einer Feier nach Hause kam. Obwohl er sie zurückwies, bedrängte sie ihn und wurde körperlich aggressiv. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so gedemütigt gefühlt. Am nächsten Morgen ging Joshua wie gewohnt zur Arbeit, zuvor packte er noch schnell das Nötigste ein und verließ die Wohnung. Er hatte am ganzen Körper tiefe Kratzer und Bisswunden. Und war seelisch zutiefst verletzt. Später entschuldigte sich seine Frau mehrmals unter Tränen für diese Nacht. Auch schwor sie, dass so etwas nicht wieder passieren werde.
Wie Joshua von der Unterstützung durch den WEISSEN RING erfuhr
Joshua N. hatte sich nach dem Vorfall einem Arbeitskollegen anvertraut, bei dem er vorübergehend wohnen konnte. Zur Polizei wollte er nicht gehen, es war schließlich seine Ehefrau und er sah sich auch nicht als Opfer einer Straftat. Über den Kollegen erfuhr Joshua von der Arbeit des WEISSEN RINGS und wandte sich an das Opfer-Telefon. Hier hatte er das erste Mal das Gefühl, dass am anderen Ende der Leitung jemand war, der sein Leid und die Demütigung nachvollziehen konnte. Ermutigt durch das Gespräch nahm Joshua N. Kontakt zu einer Außenstelle auf und sprach mit einem ehrenamtlichen Opferhelfer, der ihm einen Hilfescheck für eine psychotraumatologische Erstberatung aushändigte. Joshua fand einen Therapeuten. Aus wiedererlangter eigener Kraft schaffte er es, ein gewaltfreies Leben zu beginnen.
Ein zu starkes oder starres Männerbild?
Das Männerbild vom starken, unverwundbaren Mann bzw. Beschützer hält sich bis heute hartnäckig. Schon kleinen Jungen wird beigebracht: Indianer kennen keinen Schmerz, Männer weinen nicht, Zähne zusammenbeißen und durch! Die Gesellschaft akzeptiert keinen schwachen, hilflosen Mann.
Und somit scheint es auch kein typisch männliches Opfer geben zu können. Betroffenen fällt es daher sehr schwer, sich selbst als Opfer wahrzunehmen. Das erklärt, warum es für Männer nicht leicht ist, über Gewalterfahrungen zu reden. Zu groß sind die Scham und die Angst, als Schwächling dazustehen. Opfer zu sein, gilt als unmännlich. Doch das ist ein fataler Irrtum. Denn Männer können sich eingestehen, Beistand und Hilfe zu brauchen.
„Man(n) kann Opfer von Gewalt werden und zugleich stark und männlich sein.“
Betroffene sind nicht allein: Wir vom WEISSEN RING können helfen.
Faltblatt: Gewalt gegen Männer
Die Folgen partnerschaftlicher Gewalt
Betroffene von Partnerschaftsgewalt leiden stark unter sozialer Isolation, mitunter begründet durch die Scham und die damit verbundene Selbstwertminderung bei vielen Männern. Auch zukünftige Beziehungen nehmen oft Schaden durch zwischenmenschliche Probleme die ein Resultat des Erlebten sind.
Außerdem können sich nach einer Gewalttat neben körperlichen Verletzungen – gleich im Anschluss oder auch später – psychische Traumafolgen einstellen. Sie sind übliche Stressreaktionen auf außergewöhnliche Ereignisse.
Dazu können gehören:
- Sich aufdrängende Bilder von dem, was geschehen ist, oder auch Erinnerungsbruchstücke anderer Art (Geräusche, Gerüche, Körperempfindungen)
- Gefühlsmäßige Abstumpfung und mangelndes Interesse an dem, was vorher wichtig war
- Erhöhte Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit, Unruhe, Nervosität sowie Angst
- Schlaf-, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Albträume
- Herzklopfen oder Magen-Darm-Beschwerden
Bei uns erhalten Sie Hilfe!
Egal, ob körperliche oder psychische Partnerschaftsgewalt – niemand muss sich dem aussetzen, sondern man kann sich Unterstützung und Rückendeckung holen. Viele männliche Betroffene tun sich schwer damit, sich jemandem anzuvertrauen. Dabei brauchen gerade sie dringend ein Ohr, das zuhört, und konkrete Unterstützung. Genau hier setzt die Arbeit des WEISSEN RINGS an. Betroffene können sich selbstverständlich auch anonym an eine Außenstelle, an unser Opfer-Telefon oder die Onlineberatung wenden. Wir helfen.