Alle vier Minuten wird ein Mensch in Deutschland zum Opfer von häuslicher Gewalt
Die gestiegenen Zahlen aus der aktuellen Statistik zu Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamts (BKA), die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey heute in Berlin präsentiert hat, sprechen eine deutliche Sprache. 2017 sind 140.000 Menschen als Opfer von häuslicher Gewalt erfasst worden. 82 Prozent der Opfer waren Frauen, nur etwa 20 Prozent aller Betroffenen holen sich überhaupt Hilfe. „Die Zahlen machen mich zutiefst betroffen – es dauert statistisch betrachtet nicht einmal vier Minuten, bis in Deutschland ein Mensch neues Opfer von Gewalt in den eigenen vier Wänden wird", sagt Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des WEISSEN RINGS. Gleichzeitig spiegelt es die eigene Beratungserfahrung des Vereins wider. Völlig unerträglich sei, dass 147 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden sind. Die Einschätzung des Ministeriums, dass es zudem in diesem Bereich eine Dunkelziffer bis zu 80 Prozent gebe, teilt der WEISSE RING. „Der WEISSE RING begrüßt daher ausdrücklich, dass die Bundesregierung sich nun veranlasst sieht, ihre Hilfs- und Schutzangebote für Frauen beim Thema häusliche Gewalt zu verstärken", betont Biwer. „Wir wundern uns aber gleichzeitig darüber, dass ein Aufschrei aus der Mitte der Gesellschaft bislang ausgeblieben ist", sagt Biwer weiter.
Mit dem Gewaltschutzgesetz habe der Bund grundsätzlich gute Regelungen geschaffen, um Opfer von häuslicher Gewalt, bei der auch der Hauptanwendungsbereich des Gesetzes liegt, besser zu schützen. „Wo die Politik aber unbedingt nachbessern muss, ist die Überwachung von Gewalttätern, die gegen Anordnungen des Gewaltschutzgesetzes nachweislich verstoßen. Hilfsmittel wie die elektronische Fußfessel wären sinnvoll. Denn oft genug setzen sich Täter über Gewaltschutzanordnungen von Gerichten hinweg. Und nicht selten enden solche Verstöße in schweren bis hin zu tödlichen Attacken auf das Opfer – insbesondere, wenn es sich um frühere Partner handelt", sagt Biwer.
Männer weithin unbeachtete Opfergruppe
Eine weithin unbeachtete Gruppe von Opfern sind Männer als Opfer von häuslicher Gewalt. Wie bereits in den Vorjahren beträgt ihr Anteil nach den Zahlen des BKA 18 Prozent. Der Berliner Landesverband des WEISSEN RINGS hatte erst Anfang Oktober zu Gewalt gegen Männer in Beziehungen eine Fachtagung veranstaltet. Denn auch die absoluten Zahlen an Männern, die Gewalt in ihren eigenen vier Wänden erleben, steigen. Und auch dabei ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Waren es 2012 noch knapp unter 20.000 männliche Opfer, die bekannt wurden, so wurden laut einer Studie von Familienministerium und Bundeskriminalamt im Jahr 2015 bereits 23.167 Fälle gezählt. Legt man für eine neuerliche Rechnung die Zahlen des BKA für 2017 zugrunde, so betrug 2017 die Zahl der Männer unter den Opfern von häuslicher Gewalt rund 25.200.
Spezielle Angebote in ausreichender Zahl für diese Opfergruppe gibt es bisher nicht- so auch etwa kaum Fluchtwohnungen oder Männerhäuser. Bisher können diese Opfer, sofern sie nicht bei Freunden oder Familienangehörigen unterkommen, lediglich in Obdachlosenunterkünften untergebracht werden, was für die Männer nicht zumutbar ist. Der WEISSE RING fordert daher parallel zu dem Ausbau des Bestands an Frauenhäusern die Bereitstellung von Schutzwohnungen für Männer, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Zudem bedarf es einer repräsentativen wissenschaftlichen Studie über dieses Phänomen, die als Grundlage für noch zu entwickelnde Hilfeprojekte für diese Opfergruppe sein.
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