WEISSER RING trauert um Hans-Jürgen Kamp – ehemaliger Landesvorsitzender in Hamburg
Vor kurzem erst hatten wir Hans-Jürgen Kamp einen kleinen Fragebogen geschickt. Für unser Magazin „Forum Opferhilfe“ wollten wir mit seiner Hilfe einen leicht augenzwinkernden Blick auf die Arbeit eines Landesvorsitzenden des WEISSEN RINGS werfen. Wir stellten ihm Fragen wie „Welche drei Eigenschaften muss ein Landesvorsitzender des WEISSEN RINGS unbedingt haben?“, „Welche drei Eigenschaften sollte er auf keinen Fall haben?“, „Warum ist Landesvorsitzender in Hamburg das schönste Ehrenamt der Welt?“ und „Warum sind Sie trotzdem von Hamburg nach Rheinland-Pfalz gezogen?“ Mit Hans-Jürgen Kamp konnte man so etwas machen.
Aber dann geschah etwas sehr Kamp-Untypisches: Er blieb uns die Antworten schuldig, den vereinbarten Termin ließ er kommentarlos verstreichen. Erst mit ein paar Tagen Verspätung meldete er sich zurück, jetzt wieder sehr Kamp-typisch: Er bat uns aufrichtig um Entschuldigung. Es tue ihm leid, aber er liege handlungsunfähig in der Klinik, er könne das Zeitfenster leider nicht halten. „Können Sie damit leben?“, fragte er — ehrlich besorgt um uns und unsere Pläne, wo wir doch allein um ihn besorgt sein sollten.
Höflich. Angenehm. Zuvorkommend. Zurückhaltend. Humorvoll. Zuverlässig. Respektvoll. Respektiert. Das sind die Worte, die fallen, wenn man in diesen Tagen mit Weggefährten von Hans-Jürgen Kamp spricht. Der gebürtige Niedersachse Kamp, der bereits 1966 nach Hamburg kam, war wohl das, was gern mit „hanseatisch“ umschrieben wird.
Kamp war Jurist, den größten Teil seines Berufslebens arbeitete er in Strafvollzugsanstalten. Fünf Jahre lang leitete er das berühmt-berüchtigte Hamburger Gefängnis „Santa Fu“, bevor er 1994 weiterzog ins Hamburger Strafvollzugsamt. Nach seinem Ruhestand wechselte er die Seiten, statt um Täter kümmerte er sich fortan um Opfer: 2014 wurde er Landesvorsitzender des WEISSEN RINGS in Hamburg, von 2017 bis 2021 engagierte er sich zudem im Kuratorium der WEISSER RING-Stiftung. Er habe im Lauf der Zeit neben den Täter auch viele Menschen getroffen, die von den Straftaten betroffen waren, sagte er einmal in einem Interview. „Und das hat mich zunehmend nachdenklicher gemacht.“
Als Hans-Jürgen Kamp 2014 die Nachfolge des langjährigen Hamburger Vorsitzenden Wolfgang Sielaff antrat, sagte Kristina Erichsen-Kruse, Stellvertreterin zunächst von Sielaff und dann von Kamp: „Sie, Herr Sielaff, hinterlassen große Schuhe. Aber Sie, Herr Kamp, haben auch große Füße.“ Es waren sogar sehr große Füße: Kamp wurde auf Bundesebene eine wichtige, wohltuende Stimme im WEISSEN RING; der Verein hörte ihm zu, wenn er sich unaufdringlich im Ton, aber nachdrücklich und klug, zu Wort meldete.
Oftmals ging es dabei um das Thema Integrität. Wer für einen Verein wie den WEISSEN RING arbeitete, müsse sich beispielhaft verhalten — davon war er überzeugt, deshalb warb er für klare Regeln für die Ehrenamtlichen, etwa für das Sechs-Augen-Prinzip bei der Opferbetreuung. Ebenso überzeugt war er aber davon, dass sich ein Verein solchen beispielhaften Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber dankbar verhalten müsse. Zu Jubiläen, Verabschiedungen oder Amtsantritten lud er ins Hotel „Alte Wache“ ein, das empfand er als angemessene und respektvolle Umgebung.
Ansprechbar für seine Ehrenamtlichen blieb er auch, nachdem er aus familiären Gründen von Hamburg nach Nierstein an den Rhein gezogen war. Nun eben per Videoschalte, noch bevor sie durch Corona für viele Menschen Alltag wurde. Offen für Neues – auch das sind Worte, die beim Sprechen über Hans-Jürgen Kamp fallen. Erst 2022 trat er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Wahl des Hamburger Landesvorsitzen an.
Die letzte Frage in unserem kleinen Fragebogen an Hans-Jürgen Kamp lautete: „Was werden Sie künftig ohne den WEISSEN RING machen?“ Auch diese Antwort blieb unbeantwortet, stattdessen müssen wir uns jetzt fragen: Was wird der WEISSE RING künftig ohne Hans-Jürgen Kamp machen? Er starb am 21. Oktober 2022 nach schwerer Krankheit im Alter von 74 Jahren.
Karsten Krogmann