Was bedeutet die EU-Richtlinie für den Opferschutz in Deutschland?
Der Landesverband Berlin des WEISSEN RINGS hat in Kooperation mit der Landeskommission Berlin gegen Gewalt eine WEISSER RING Akademie-Fachtagung veranstaltet. Diese stand unter dem Motto: "Meilenstein oder Kieselstein? Was bedeutet die EU-Richtlinie für den Opferschutz in Deutschland?"Die diskutierte EU-Richtlinie über "Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten" tritt am 16. November 2015 in Kraft. Zur Vorbereitung ihrer Umsetzung in nationales Recht hat die Bundesregierung einen Kabinettsentwurf über das dritte Opferrechtsreformgesetz vorgelegt. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes werden entsprechende Gesetzesänderungen und Verordnungen in den Ländern folgen müssen. Die Fachtagung beschäftigte sich unter anderem mit den Auswirkungen der EU-Richtlinie für Polizei, Justiz und Opferhilfsorganisationen. Das Opfer steht nach Umsetzung der EU-Richtlinie zum Opferschutz in Deutschland im Fokus – nicht nur als Zuschauer und stiller Teilnehmer des Verfahrens, sondern als aktiver Beteiligter. Es wird als Mensch wahrgenommen, der ein eigenes, individuelles Schicksal zu verarbeiten hat und auf dessen Belange und Nöte Rücksicht genommen werden muss. So dient die künftige schriftliche Bestätigung einer Strafanzeige dem Opfer nicht nur als Sicherheit unmittelbar im Verfahren. Eine solche Bestätigung kann beispielsweise auch nach Eigentumsdelikten bei der Versicherung vorgelegt werden und so die Rechte und Ansprüche des Opfers stärken. Darüber hinaus wird ein Kriminalitätsopfer künftig bereits direkt bei der Erstattung der Anzeige darüber informiert, welche Rechte ihm innerhalb und außerhalb des Strafverfahrens zustehen. Ob Leistungsbezug aus dem Opferentschädigungsgesetz oder die Nutzung einer bestimmten Opferhilfeeinrichtung – das Opfer ist am Prozedere beteiligt und wird zum Akteur, der mit entscheidet. Doch Kriminalitätsopfer brauchen mehr Möglichkeiten, um gegen eingestellte Strafverfahren vorzugehen. Oft werden Verfahren eingestellt, weil sie gegenüber anderen laufenden Verfahren gegen denselben Täter als geringfügiger eingestuft werden. Hier hat das Opfer nach wie vor keine Möglichkeit zur Beschwerde und wird übergangen. Dies kann nicht im Sinne eines umfassenden Opferschutzes sein. Hier muss dringend nachgebessert werden. Ein anderer Punkt ist die psychosoziale Prozessbegleitung während eines Strafverfahrens. Das Opfer muss in der Lage sein dürfen, sich seine Vertrauensperson für die psychosoziale Prozessbegleitung selbst auszusuchen. Und es muss dazu ermächtigt werden, ab einem bestimmten Punkt Grenzen zu ziehen und damit auch selbst zu bestimmen, wie viele Vertrauenspersonen es in der aktuellen Situation benötigt. Zu viel und zu fremdbestimmte Hilfe würde letztlich dazu beitragen, das Opfer während des Strafverfahrens erneut in eine Belastungssituation zu bringen. Auch die Tatsache, dass für die psychosoziale Prozessbegleitung nach wie vor nur die Bundesländer zuständig sind, wirft Fragen auf: Wie unterschiedlich wird die psychosoziale Prozessbegleitung aufgrund der unterschiedlichen finanziellen Ausstattungen der Bundesländer gehandhabt? Besteht das Risiko, dass Opfer in bestimmten Bundesländern aufgrund finanzieller Beschränkungen benachteiligt werden – beispielsweise, wenn es um die Auswahlmöglichkeiten der Verfahrensbegleitung geht? Welche Auswirkungen die EU-Richtlinie u.a. für Polizei, Justiz und Opferhilfsorganisationen hat, dazu referierten Dr. Helgard van Hüllen, Stellvertretende Bundesvorsitzende des WEISSEN RINGS Deutschland, Vice-President of Victim Support Europe, Sylvia Frey-Simon, Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Sabine Hartwig, WR-Landesvorsitzende Berlin, Roland Weber, Opferbeauftragter des Landes Berlin, Sven Peitzner, Rechtsanwalt sowie Barbara Unterlerchner, psychosoziale Prozessbegleiterin und Leiterin des Fachbereiches Opferbetreuung und Opferrechte beim WEISSEN RING Österreich.WEISSER RING Akademie-Fachtagung in Berlin: Fokussierung auf das Opfer und seiner stärkeren Einbindung in das Strafverfahren setzt neue Standards für den Opferschutz in Deutschland.