Ein Jahr nach Anschlag am Berliner Breitscheidplatz: Staat muss Terroropfer besser unterstützen
Opfer und Angehörige müssen nach Terrorangriffen schneller und umfassender unterstützt werden. Dies fordert der WEISSE RING knapp ein Jahr nach dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016. „Der Staat muss eine Krisenkoordinationsstelle einrichten", sagt Roswitha Müller-Piepenkötter, Bundesvorsitzende von Deutschlands größter Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität. „Eine solche Stelle muss gewährleisten, dass Betroffene schnell und mit der nötigen Sensibilität betreut werden."
Die damalige Arbeit der Berliner Behörden sei von Pannen geprägt gewesen, sagt Müller-Piepenkötter. So hätten Angehörige die falschen Adressen von Krankenhäusern bekommen, in denen Schwerverletzte und Sterbende lagen. Hinterbliebene hätten wochenlang auf Sterbeurkunden gewartet. Zeugen seien von Polizeibeamten gleich mehrfach zur Aussage aufgefordert worden. Andere Betroffene hätten von der Polizei Beileidsbekundungen erhalten, obwohl der Angehörige überlebte. „Dies alles hat bei Opfern und Angehörigen für zusätzliche Belastungen gesorgt", sagt Müller-Piepenkötter. „So ein Chaos darf nicht mehr passieren, das Krisenmanagement muss besser abgestimmt sein."
Der WEISSE RING fordert zudem, dass die neu zu schaffende Kriseninterventionsstelle nicht nur die Erstversorgung, sondern auch mittel- und langfristige Opferhilfen für Betroffene im Blick hat – und den WEISSEN RING als Anbieter solcher Hilfen gleich mit einbezieht. In Berlin seien Opfer und Angehörige zu wenig auf den WEISSEN RING hingewiesen worden, kritisiert die Bundesvorsitzende. In der Folge hätten sich viele nach der Akutversorgung alleingelassen gefühlt. „Auch dies bereitete Betroffenen unnötige Strapazen und änderte sich erst, als sie anderweitig auf unser Hilfsangebot aufmerksam wurden."
Trotz allem war der WEISSE RING im Zuge des Attentats sehr gefordert. Insgesamt haben die Berliner Opferhelfer bislang knapp 80 Opfer, Angehörige, Hinterbliebene und traumatisierte Augenzeugen betreut. Weit über 150.000 Euro brachte der Verein bislang an materiellen Hilfeleistungen auf: So überbrückte er unter anderem Verdienstausfälle, finanzierte Erholungsmaßnahmen, kam für Fahrtkosten auf und unterstützte beim Kauf neuer Kleidung. Hinzu kommen die vielen Stunden, in denen die Mitarbeiter des WEISSEN RINGS bei Behördengängen begleiteten, beim Beantragen von Entschädigungsleistungen halfen und Familien Halt gaben – und noch immer geben.
Nach wie vor aktuell ist auch das Thema finanzielle Unterstützung. „Terroropfer brauchen einen Rechtsanspruch auf Schmerzensgeld gegenüber dem Staat, der sie vor dem Anschlag nicht schützen konnte", sagt Müller-Piepenkötter. In der konkreten Ausgestaltung sollte jedem Opfer mindestens ein fünfstelliger Betrag zustehen. Schmerzensgeld sei als Anerkennung für erlittenes Leid für die Psyche der Opfer wichtig und gebe ihnen die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, wie und wofür sie es verwenden. „Sie wissen am besten, was ihnen hilft", so die Bundesvorsitzende. Die bestehende Härtefallentschädigung beim Bundesjustizministerium für Opfer von terroristischer Gewalt hält der WEISSE RING insbesondere deshalb für nicht ausreichend, weil darauf kein Rechtsanspruch besteht.
Foto: Matthias Haslauer