Ein langer Weg in ein befreites Leben
Spendenaktion für den WEISSEN RING: Wandern auf dem Jakobsweg
Dominique B. wanderte im Juli 316 Kilometer auf dem Jakobsweg und knüpfte daran eine Spendenaktion zugunsten des WEISSEN RINGS. Für die 32-Jährige war es mehr als eine Wanderung – es war ihr Weg in ein neues, befreites Leben. Wir sprachen mit ihr über ihre Motivation und wie ihr der WEISSE RING geholfen hat.
Foto Titel: Pixabay Skitterphoto – CC0-Lizenz
Wie ist die Idee für Ihre Wanderung und die Spendenaktion entstanden?
Bei mir hat sich Anfang dieses Jahres viel verändert, weil mein Großvater gestorben ist. Er hat mich zwischen meinem fünften und fünfzehnten Lebensjahr sexuell missbraucht. Mit 18 war ich bereit, Anzeige zu erstatten, und der WEISSE RING hat mir damals sehr geholfen. Für diese Unterstützung wollte ich jetzt einfach etwas zurückgeben. Opfer haben einen schweren Weg. Ich habe es selbst erlebt und weiß, dass solche Taten einen Menschen ein Leben lang begleiten. Mit der Wanderung auf dem Jakobsweg wollte ich symbolisch Lasten ablegen und etwas Neues beginnen. Die Idee ist immer stärker geworden, obwohl die Menschen in meinem Umfeld es kaum glauben wollten. Ich war total untrainiert und bin noch nie in meinem Leben so weit gewandert, geschweige denn mit Gepäck auf dem Rücken. Aber ich bin am 2. Juli in Porto gestartet und nach 316 Kilometern am 13. Juli in Santiago de Compostela angekommen. Sogar zwei Tage früher als geplant.
Was waren Ihre eindrücklichsten Erlebnisse auf dem Weg?
Ich habe mich mit mir selbst und meinem Körper auseinandergesetzt und meine Grenzen ausgelotet. Jeden Tag bin ich knapp 30 Kilometer gewandert und das mit 12 Kilo Gepäck. Das war viel zu schwer. Am dritten Tag musste ich abends ein Krankenhaus aufsuchen, weil mein Zeh extrem geschwollen war. Ich habe dann auch insgesamt zwei Zehennägel verloren. Man läuft in den Schmerz hinein und spürt ihn nicht mehr. Wenn man am Ende der Etappe die Schuhe auszieht, fragt man sich ‚Wie geht es jetzt weiter?‘ Am fünften Tag der Wanderung war mir aber klar: Ich will das schaffen. Und das eindrücklichste Erlebnis hatte ich drei Kilometer vor dem Ende einer Etappe: Ich wanderte durch einen schönen Wald mit Eukalyptusbäumen, spürte aber, dass ich nicht mehr konnte. Ich war am Ende meiner Kräfte. In diesem Moment tauchten hinter einer Lichtung die Umrisse der Stadt auf. Da kamen mir die Tränen und ich wusste, ich schaffe es. Insgesamt war es eine Achterbahn der Gefühle und für mich natürlich auch ein symbolischer Weg. Ich habe meine negativen Erlebnisse immer weiter zurückgelassen und mich immer befreiter gefühlt.
"Ich möchte allen Menschen, die Ähnliches erlebt haben, Mut machen."
Dominique B.
Sind Sie alleine gewandert?
Ja, aber auf dem Weg habe ich auch viele Menschen getroffen. Und ich glaube, dass der „Camino“ – wie die Pilger sagen –, das zusammenbringt, was zusammenkommen soll. Ich habe unter anderem eine Familie getroffen, die mit ihren Pflegekindern unterwegs war und denen das Thema sexueller Missbrauch nicht fremd war. Ich konnte mich austauschen und hatte das Gefühl, ich bin nicht allein. Das hat mir viel Mut gemacht. Insgesamt bin ich ohne große Erwartungen gestartet und dieser Weg hat mir mehr gebracht, als ich für möglich gehalten habe.
Wie genau haben Sie die Spendenaktion organisiert?
Ich habe mich an den WEISSEN RING gewandt und meine Wanderung auf dem Jakobsweg als Spendenprojekt vorgestellt. Das ist gut angekommen und wir haben ein Spendenkonto eingerichtet, auf das freie Spenden eingezahlt werden können – übrigens noch bis zum Ende des Jahres. Gleichzeitig sind einige Berichte über mein Vorhaben erschienen, und mir war es besonders wichtig, öffentlich zu machen, dass es den WEISSEN RING gibt und dass es die Möglichkeit gibt, sich dort Hilfe zu holen.
Was war damals für Sie die wertvollste Unterstützung durch den WEISSEN RING?
Wir haben sehr gute, hilfreiche Gespräche geführt. Es ist so schwer, darüber zu sprechen, und die Mitarbeiterin des WEISSEN RINGS hat mir die Angst genommen, es zu sagen. Für Opfer, die sich trauen, eine solche Straftat anzuzeigen, beginnt ein harter Weg. Ich musste vom Glaubwürdigkeitsgutachten bis zur Schriftprobe alles liefern. Das Gefühl, dass einem niemand glaubt, ist fürchterlich. Es auch noch beweisen zu müssen, dass dieser Mensch einem das angetan hat. In der Situation menschlichen Beistand zu haben, ist unglaublich wichtig. Darüber hinaus hat der WEISSE RING mich auch unterstützt, als ich einen Anwalt brauchte, und meine Eltern haben ebenfalls Hilfe bekommen, um mit den Geschehnissen umgehen zu können. Ich kann heute sagen, dass ich das Thema gut verarbeitet habe, und ich möchte allen Menschen, die Ähnliches erlebt haben, Mut machen: Es gibt immer einen Weg aus dem Teufelskreis rauszukommen.