"Bedrohliche Entwicklung"

Kriminalitätsstatistik: Opferhelfer spüren schlimmste Auswirkungen - "Bei allen extremistischen Gewalttaten im Einsatz"

Die steigende Zahl von Gewalttaten gegen Amtsträger, Polizeibeamte und politisch Andersdenkende ist nach Ansicht des WEISSEN RINGS Ausdruck einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft, die dringend gestoppt werden muss. "Hass und Hetze können nicht nur zu Gewalttaten bis zum Mord führen - sie tun es längst!", warnt Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender von Deutschlands größter Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer. "Das dürfen wir auf keinen Fall hinnehmen."

Mit den schlimmsten Auswirkungen von Hasskriminalität muss sich der WEISSE RING laut Ziercke seit einigen Jahren immer häufiger auseinandersetzen: "Ob in Hanau oder in Halle, nach allen extremistischen Gewalttaten der jüngeren Vergangenheit waren unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter als Opferhelfer vor Ort." Die physischen und psychischen Folgen solcher Taten seien für die Betroffenen erschütternd und anhaltend. Noch heute, dreieinhalb Jahre nach dem Anschlag, betreue der WEISSE RING Opfer der Amokfahrt auf dem Berliner Breitscheidplatz. "Die Opfer leiden weiter, auch wenn niemand mehr von der Tat spricht", so Ziercke.

Laut der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik gab es 2019 deutlich mehr politisch motivierte Straftaten. Dazu zählten vor allem Körperverletzungen durch Rechtsextremisten, Brandstiftungen durch Linksextremisten und antisemitische Ausfälle. Zugenommen haben auch die Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt. Bundesinnenminister Horst Seehofer, der die Zahlen am Mittwoch in Berlin vorstellte, sprach von Schlägen, Flaschenwürfen und sogar Angriffen mit Pyrotechnik gegen Polizeibeamte und Amtsträger.

"Es ist höchste Zeit, dass der Staat, aber auch jeder einzelne Bürger dieser bedrohlichen Entwicklung entschieden entgegentritt", fordert Jörg Ziercke vom WEISSEN RING. Das geplante Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität sei ein wichtiger erster Schritt. Damit will die Bundesregierung unter anderem Soziale Netzwerke verpflichten, Straftaten wie Bedrohung oder Volksverhetzung dem Bundeskriminalamt zu melden. Kommunalpolitiker sollen zudem besonderen Schutz genießen. Der WEISSE RING erwarte nicht nur, dass der Entwurf schnellstmöglich umgesetzt werde. Notwendig sei auch eine entsprechende Personalaufstockung bei den Ermittlungsbehörden, sagt Ziercke, der von 2004 bis 2014 Präsident des Bundeskriminalamts war.

Der WEISSE RING warnt eindringlich davor, Hass, Hetze und Drohungen vor allen im Internet als alltäglich hinzunehmen. "Wir dürfen uns niemals daran gewöhnen", sagt Ziercke. Erst am Dienstag hatten der Virologe Christian Drosten und der SPD-Politiker Karl Lauterbach auf Twitter über Morddrohungen gegen sie berichtet. Beide gelten als Kritiker von Lockerungen der Corona-Maßnahmen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Hass und Hetze begrüßte Ziercke die am Mittwoch bestätigte Entscheidung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Teile der AfD als rechtsextrem einzustufen und zum Beobachtungsobjekt zu bestimmen. "Die Sprache dieser Leute schürt Ängste und baut Feindbilder auf - und trägt damit zu der gefährlichen Entwicklung bei", so Ziercke. Der WEISSE RING geht deshalb auf deutliche Distanz zu allen politischen Extremisten: "Ein Engagement in einer Partei, die für Ausgrenzung, Diskriminierung und eine Spaltung der Zivilgesellschaft sowie eine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht, schließt eine Mitarbeit in unserer Opferhilfe-Organisation kategorisch aus", erklärte Jörg Ziercke bereits bei seinem Amtsantritt im September 2018. Der Bundesvorstand beschloss, dass niemand ehren- und hauptamtliche Funktionen im WEISSEN RING ausüben kann, der gleichzeitig öffentlich für Parteien oder Organisationen aktiv ist, die Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vertreten.

Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender, Präsident des Bundeskriminalamtes a. D. (Foto: WEISSER RING)

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