Tagung zur Umsetzung der neuen EU-Richtlinie für den Opferschutz in Deutschland, 7. Oktober 2015, Berlin

    Neue Standards für den Opferschutz

    Unter dem Motto "Meilenstein oder Kieselstein? Was bedeutet die EU-Richtlinie für den Opferschutz in Deutschland?" hat der Landesverband Berlin des WEISSEN RINGS in Kooperation mit der Landeskommission Berlin gegen Gewalt eine Fachtagung veranstaltet.

    Die diskutierte EU-Richtlinie über "Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten" trat am 16. November 2015 in Kraft. Um ihre Umsetzung in nationales Recht vorzubereiten, hat die Bundesregierung einen Kabinettsentwurf über das dritte Opferrechtsreformgesetz vorgelegt. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes werden entsprechende Gesetzesänderungen und Verordnungen in den Ländern folgen müssen. Die Fachtagung beschäftigte sich unter anderem mit den Auswirkungen der EU-Richtlinie für Polizei, Justiz und Opferhilfeorganisationen.

    Opfer im Fokus

    Nach Umsetzung der EU-Richtlinie zum Opferschutz in Deutschland steht das Opfer nicht mehr nur als Zuschauer und stiller Teilnehmer des Verfahrens im Fokus, sondern als aktiv Beteiligter. Es wird als Mensch wahrgenommen, der ein eigenes, individuelles Schicksal zu verarbeiten hat und auf dessen Belange und Nöte Rücksicht genommen werden muss. So dient die künftige schriftliche Bestätigung einer Strafanzeige dem Opfer nicht nur als Sicherheit unmittelbar im Verfahren. Diese Bestätigung kann auch nach Eigentumsdelikten der Versicherung vorgelegt werden und so die Rechte und Ansprüche des Opfers stärken. Darüber hinaus wird ein Kriminalitätsopfer künftig früher – nämlich schon wenn es Anzeige erstattet – darüber informiert, was ihm innerhalb und außerhalb des Strafverfahrens im Rahmen seiner Rechte zusteht. Ob Leistungsbezug aus dem Opferentschädigungsgesetz oder die Nutzung einer bestimmten Opferhilfeeinrichtung – das Opfer ist am Prozedere beteiligt und wird zum Akteur, der mit entscheidet.

    Mehr Möglichkeiten

    Kriminalitätsopfer brauchen mehr Möglichkeiten, um gegen eingestellte Strafverfahren vorzugehen. Oft werden Verfahren nicht weiter verfolgt, weil sie gegenüber anderen laufenden Verfahren gegen denselben Täter als geringfügiger eingestuft werden. Hier wird das Opfer übergangen und hat nach wie vor keine Möglichkeit zur Beschwerde. Das kann nicht im Sinne eines umfassenden Opferschutzes sein, hier muss dringend nachgebessert werden. Ein anderer Punkt ist die psychosoziale Prozessbegleitung während eines Strafverfahrens. Das Opfer muss in der Lage sein dürfen, sich seine Vertrauensperson für die psychosoziale Prozessbegleitung selbst auszusuchen. Zusätzlich muss das Opfer ermächtigt werden, ab einem bestimmten Punkt Grenzen zu ziehen und damit auch selbst zu bestimmen, wie viele Vertrauenspersonen es in der aktuellen Situation benötigt. Zu viel und zu fremdbestimmte Hilfe könnte das Opfer während des Strafverfahrens letztlich erneut in eine Belastungssituation bringen. Auch die Tatsache, dass für die psychosoziale Prozessbegleitung nach wie vor nur die Bundesländer zuständig sind, wirft Fragen auf: Wie unterschiedlich wird die psychosoziale Prozessbegleitung aufgrund der unterschiedlichen finanziellen Ausstattungen der Bundesländer gehandhabt? Besteht das Risiko, dass Opfer in bestimmten Bundesländern aufgrund finanzieller Beschränkungen benachteiligt werden – beispielsweise, wenn es um die Auswahlmöglichkeiten der Verfahrensbegleitung geht?

    Welche Auswirkungen die EU-Richtlinie u.a. für Polizei, Justiz und Opferhilfeorganisationen hat, dazu referierten Dr. Helgard van Hüllen, Stellvertretende Bundesvorsitzende des WEISSEN RINGS Deutschland, Vizepräsidentin Victim Support Europe, Sylvia Frey-Simon, Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, Sabine Hartwig, WEISSER RING-Landesvorsitzende Berlin, Roland Weber, Opferbeauftragter des Landes Berlin, Sven Peitzner, Rechtsanwalt, sowie Barbara Unterlerchner, psychosoziale Prozessbegleiterin und Leiterin des Fachbereiches Opferbetreuung und Opferrechte beim WEISSEN RING Österreich.

    Die Tagung wurde vom WEISSEN RING e.V. Berlin in Kooperation mit der Landeskommission Berlin gegen Gewalt organisiert. Wir bedanken uns herzlich für die Unterstützung der Veranstaltung durch die Berliner Polizei und das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf.