Opferfall: Elektronisch überwacht
Bei der Gründung des Vereins 1976 steckte die Entwicklung von Technik und Elektronik noch nahezu in den Kinderschuhen. Elektronische Überwachung war nur den Wenigsten ein Begriff. Im Wandel der Zeit, mit fortschreitender Technik und immer neuen Technologien können kleinste Abhörgeräte und nahezu unsichtbare Kameras heute jedoch mit nur wenigen Klicks im Internet bestellt werden. Dazu braucht es weder Fachkenntnisse, noch technisches know how- nahezu jedermann kann kinderleicht mit ein wenig Geschick das eigene Heim mit Abhörgeräten und Kameras ausstatten. Dies kann nützlich sein- während des Urlaubs, zum Schutz vor Einbrechern oder wenn der vierbeinige Gefährte für ein paar Stunden alleine gelassen werden muss. Wer jedoch unwissentlich in allen Lebenslagen überwacht und kontrolliert wird, der fühlt ich oft hilf- und machtlos.
So ist es auch Sophie Gabel ergangen. Die 32- jährige Mutter dreier Kinder entdeckte an einem Abend im Dezember ein Blinken an einer Steckdose. Nach neun Jahren Ehe, gerade frisch getrennt, hatte sie vor kurzem erst eine neue Wohnung bezogen. Ihr Mann hatte sich in den vergangenen Jahren verändert und sie sowie ihre Kinder zunehmend kontrolliert. Er wurde immer aggressiver. Nach der Trennung überwacht er seine Familie in der neuen Wohnung mit elektronischen Wanzen.
„Ich dachte erst an einen Wackelkontakt“, erinnert sich die Bochumerin, „aber es blitze regelmäßig ein blaues Licht aus der Steckdose. Das war ungewöhnlich.“ Kurzerhand schraubt die junge Frau die Steckdose auf und entdeckt ein kleines elektronisches Teil. Sofort verständigt sie ihren Bruder. Dieser recherchiert im Internet und erklärt seiner Schwester: „Du hast ein Abhörgerät entdeckt.“ Sophie Gabel ist fassungslos. „Mir war direkt klar, dass das von meinem Mann stammen muss.“
Die gerade erst bezogene Wohnung sollte ein Neuanfang für Gabel und ihre Kinder werden. Als sie Ende Dezember jedoch das Abhörgerät in ihren Händen hält, muss sie feststellen, dass ihr Mann diesen Neuanfang nicht zulassen will.
Ein paar Tage später entdeckt Gabel eine weitere Wanze, die hinter dem Putz in der Wand installiert ist. Sie geht zur Polizei und erstattet Anzeige. Noch am selben Tag wird das Haus ihres Mannes durchsucht. Er gibt zu, noch weitere Wanzen installiert zu haben. Außerdem hat er in Gabels Auto ein Abhörgerät sowie einen GPS-Tracker installiert.
Relativ zügig nach der Entdeckung der Wanze kann Gabel mithilfe einer Anwältin eine einstweilige Verfügung gegen ihren Mann erwirken. Er darf seiner Familie von nun an nicht näher kommen als dreißig Meter. Die Beamten verweisen Gabel an den WEISSEN RING. Der ehrenamtliche Mitarbeiter Wolf Brennholt von der Außenstelle Bochum nimmt sich der Sache an. Mehrmals treffen sich der pensionierte Polizist und Gabel, um das Geschehen aufzuarbeiten. „So einen Fall hatte ich noch nie. Das war für uns Opferhelfer neu“, so der ehemalige Leiter der Bochumer Mordkommission.
Ein großes Problem für Gabel und ihre Kinder: „Wir wollten und konnten nicht noch einmal umziehen.“ Einen weiteren Umzug hätte sich die junge Frau nicht leisten können. Die Polizei rät, die Wohnung von einem Sicherheitsexperten, der auf das Finden von Abhörgeräten und Kameras spezialisiert ist, durchsuchen zu lassen. Anfang Februar durchkämmt der Fachmann Gabels Wohnung neun Stunden lang mit Spezialgeräten. „Damit können wir feststellen, wo Strahlen von Abhörgeräten oder Kameras ausgesendet werden“, so der Experte. Er hat in anderen Fällen schon Duschköpfe mit Kameras, Feuerzeuge und Kugelschreiber mit eingebauten Wanzen gefunden. Normalerweise arbeitet er für Prominente und Wirtschaftsbosse, doch in letzter Zeit auch immer öfter für Menschen, die Opfer von Stalking wurden.
Für den „elektronischen Kammerjäger“ kommt der WEISSE RING auf und übernimmt die Kosten. Dadurch ist für Sophie Gabel ein Weiterleben in ihrem neuen Heim möglich. „Wir fühlen uns hier jetzt frei!", sagt die Bochumerin über ihre wanzenfreie Wohnung. Ihr Mann wurde auch kürzlich verurteilt und hält sich bislang an das gerichtliche Annäherungsverbot.
Aus der Mitgliederzeitung 03/2017