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Wissenswertes zum Sozialrecht
Auf dieser Seite finden sich Informationen zum Sozialen Entschädigungsrecht, weiteren sozialpolitischen Fragestellungen und zu relevanten Positionspapieren des WEISSEN RINGS.
Soziales Entschädigungsrecht
Opfer von vorsätzlichen rechtswidrigen Gewalttaten haben Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialen Entschädigungsrecht, wenn sie durch die Tat gesundheitliche Schäden erlitten haben. Das Soziale Entschädigungsrecht ist im Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch (SGB XIV) geregelt. Opfer haben, entgegen des Wortlauts, vor allem einen Anspruch auf Versorgung und nicht nur auf Entschädigung.
Dieser Anspruch auf Versorgung bedeutet eine soziale Sicherung, die auch dann greift, wenn durch die Tat gravierende und lang andauernde gesundheitliche Belastungen entstanden sind. Das Gesetz bietet eine sehr gute Versorgung, die über die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen hinausgeht.
Das Soziale Entschädigungsrecht wurde nach einem mehr als zehn Jahre andauerenden politischen Prozess im Jahr 2019 reformiert. Ziel war, die guten Leistungen zu erhalten, Verschlechterungen zu verhindern und gleichzeitig notwendige Verbesserungen zu erreichen. Einige der wichtigsten Forderungen des WEISSEN RINGS wurden hierbei berücksichtgt, vor allem die Einbeziehung des Tatbestandes der psychischen Gewalt. Der WEISSE RING hat diesen politischen Prozess sehr eng begleitet, u. a. mit der Kampagne "Opferrechte sind Menschenrechte", die in der Öffentlichkeit beachtliche Aufmerksamkeit fand.
Die politische Entwicklung des Sozialen Entschädigungsrechts der letzten Jahre
2019
Das Bundeskabinett hat am 26. Juni 2019 den Gesetzentwurf zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts beschlossen. Seit Jahren setzt sich der WEISSE RING für die Rechte der Opfer und den Erhalt der guten Leistungen ein. „Als Ergebnis eines fortgesetzten und konstruktiven Austauschs zwischen dem WEISSEN RING und dem Bundesozialministerium von Hubertus Heil ist jetzt ein Soziales Entschädigungsrecht auf den Weg gebracht worden, das Opfern von Kriminalität und ihren Angehörigen entscheidende Verbesserungen bringen wird. Wir haben an diesem Gesetzgebungsverfahren intensiv mitgearbeitet und freuen uns daher umso mehr, dass unsere Kernforderungen - also die Inhalte, die für Betroffene von besonderer Bedeutung sind – bei der Novellierung des Entschädigungsrechts berücksichtigt worden sind“, sagt Jörg Ziercke, Bundesvorsitzender des WEISSEN RINGS.
So wird z.B. der Kreis der Berechtigten erweitert: Opfer schwerer psychischer Gewalt (u.a. bestimmte Fälle von Stalking) sollen zukünftig auch Leistungen erhalten. Die Entschädigungszahlungen sollen deutlich erhöht werden. Außerdem werden die Traumaambulanzen gesetzlich normiert. Es wird ein flächendeckendes Angebot geschaffen und Opfer sollen einen Anspruch auf psychologische Frühintervention haben.
Dennoch zeigt sich in der Arbeit des WEISSEN RINGS, dass in der Praxis gerade das Verwaltungsverfahren die Durchsetzung der Leistungen (z.B. wegen der Dauer der Verfahren) erschwert. Hier gibt es noch Verbesserungsbedarf. Jetzt gilt es, den Regierungsentwurf in seiner vorliegenden Fassung vom 26.06.2019 in breitem Konsens im Bundesrat und Bundestag zu verabschieden und weitere Verbesserungen zu erzielen.
2018
Im Januar 2017 legte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen ersten Arbeitsentwurf zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vor. Dieser unterscheidet sich grundlegend von den bisherigen Regelungen.
Eine Stellungnahme des WEISSEN RINGS zu dem Ersten Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts finden Sie hier. Im Juli 2018 bringt der Verein einen eigenen Entwurf für eine bessere Opferentschädigung heraus. Der Entwurf zeigt Wege auf, wie Opfern von Straftaten schneller, effektiver und umfassender als bisher geholfen werden kann.
2017
Der Deutsche Sozialrechtsverband hat sein 49. Kontaktseminar vom 20. bis 21. Februar 2017 dem Thema "Abschied von der Kriegsopferversorgung - Aufbruch zum neuen sozialen Entschädigungsrecht" gewidmet. Den Vortrag der Bundesvorsitzenden des WEISSEN RINGS, Frau Roswitha Müller-Piepenkötter, mit dem Titel "Warum brauchen wir ein neues Soziales Entschädigungsrecht - das Leitgesetz des BVG als Auslaufmodell?" sowie den Vortrag von Frau Barbara Wüsten, Referatsleiterin Opferrechte, Internationales und Ehrenamt zu "Einmalzahlungen" stellen wir hier zur Verfügung. Die Artikel sind erschienen im Sonderheft 2017 Sozialrecht aktuell des Nomos Verlages.
Statistiken zur Opferentschädigung
Basierend auf Behördenangaben erstellt der WEISSE RING jedes Jahr eine Statistik zur staatlichen Opferentschädigung – mit ernüchterndem Ergebnis: Nur ein Bruchteil der Berechtigten beantragt Leistungen nach dem OEG.
Medizinische Versorgung
Häufig erster Ansprechpartner für die medizinische Versorgung sind die gesetzlichen Krankenkassen. Im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung bestehen jedoch Lücken, die es zu schließen gilt. Der WEISSE RING hat deshalb auch Forderungen zur psychotherapeutischen Versorgung von Kriminalitätsopfern erarbeitet.
Sozialrechtliche Forderungen des WEISSEN RINGS
(Stand 07/2025)
A. Umfang des Leistungsanspruchs
1. Opfer von Gewalttaten und Gleichstellungen
Die zum 01.01.2024 in Kraft getretenen Entschädigungstatbestände des SGB XIV berücksichtigen, dass der Gewaltbegriff des OEG den Gewaltformen, wie sie heute auftreten, nicht mehr umfassend gerecht wurde (BT-Drs. 19/13824, 144). Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 SGB XIV erhält ab 2024 auch derjenige, der eine gesundheitliche Schädigung durch ein sonstiges vorsätzliches, rechtswidriges, unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung einer Person gerichtetes schwerwiegendes Verhalten eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, eine Entschädigung. Diese Regelung ist nicht ausreichend.
Anerkannte kriminalstatistische und medizinstatistische Untersuchungen haben ergeben, dass Betroffene nach Wohnungseinbrüchen vielfach behandlungsbedürftige seelische Belastungen mit Krankheitswert erleiden. So folgt bereits aus der von Günther Deegener durchgeführten Studie aus dem Jahr 1996, die u.a. in Zusammenarbeit mit dem WEISSEN RING durchgeführt wurde, dass das Ausmaß der Folgen von Wohnungseinbrüchen wohl deutlich ausgeprägter ist, als regelmäßig angenommen, und in der Folge Betroffene nicht die Unterstützung erhalten, die sie benötigen würden. Diese Ergebnisse wurden durch die Studie des Kriminologisches Forschungsinstituts Niedersachen e. V. (Wollinger, G. R., Dreißigacker, A., Blauert, K., Bartsch, T., & Baier, D. (2014), Wohnungseinbruch: Tat und Folgen, Ergebnisse einer Betroffenenbefragung in fünf Großstädten (KFN-Forschungsberichte Nr. 124) bestätigt. Aus der Studie ging unter anderem hervor, dass 3,2 % der Betroffenen Anzeichen auf Vorliegen einer Belastungsstörung aufweisen (S. 79, Ziff. 10).
Es handelt sich beim Wohnungseinbruch nicht um eine Gewalttat, sondern um ein Delikt, das – wie die in § 13 SGB XIV genannten Delikte – oft oder sogar typischerweise dieselben Wirkungen hat. Der Täter dringt in die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre des Opfers ein und verletzt damit das für die Lebensqualität wichtige Sicherheitsgefühl. Deshalb müssen Opfer von Wohnungseinbrüchen den Opfern einer Gewalttat nach § 14 SGB XIV gleichgestellt werden. Dieser Personenkreis könnte von den Leistungen der Traumaambulanzen besonders profitieren.
Dies gilt aber ebenso für weitere Personengruppen. Auch Betroffene von Erpressung, Bedrohung oder anderen psychischen Gewalttaten, die durch derartige Straftaten eine psychische Schädigung erleiden, müssen Leistungen erhalten. Hiermit ist keine unbegrenzte Leistungsausweitung verbunden, da die Entschädigungsleistungen gesundheitliche Folgen der Taten voraussetzen.
Ein kaum zu überschätzendes Problem, das weite Teile der Gesellschaft belastet, ist der immer weiter um sich greifende Hass im Internet. Schätzungen einer neuen von der Barmer Krankenkasse unterstützten Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing zufolge sind rund 2 Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland mindestens einmal von Cybermobbing betroffen. Dessen psychische Folgen können gravierend sein. So gaben jeweils rund 30 Prozent der Befragten an, dadurch verängstigt worden zu sein und/oder auch heute noch unter den Folgen zu leiden. Jeder vierte Betroffene äußerte sogar Suizidgedanken (Bündnis gegen Cybermobbing, Cyberlife V, Oktober 2024, S. 6, 98). Dass digitale Gewalt auch unter Erwachsenen ein weitverbreitetes Problem ist, belegt eine repräsentative Studie der Menschenrechtsorganisation HateAid. Danach gaben 63 Prozent der befragten 18- bis 27-Jährigen an, schon digitale Gewalt beobachtet zu haben. Fast 30 Prozent waren selbst betroffen (https://hateaid.org/neue-studie-junge-erwachsene-von-sexualisierter-gew…).
Der Bedeutung des Problems entspricht es, dass die Koalition aus CDU/CSU und SPD in ihren Koalitionsvertrag das Ziel aufgenommen hat, ein digitales Gewaltschutzgesetz zu schaffen (Verantwortung für Deutschland – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode S. 91 f.). Das SGB XIV muss um einen neuen Entschädigungstatbestand der digitalen Gewalt ergänzt werden, um auch Personen, die unter den Folgen gravierender persönlicher Anfeindungen oder Beleidigungen im digitalen Raum leiden, in den Anwendungsbereich des Soziale Entschädigungsrechts einzubeziehen.
In Fällen häuslicher Gewalt muss sich die Prüfung auf die konkrete Situation der Gewaltbetroffenen im Einzelfall beziehen. Bei dieser Prüfung hat die Verwaltung zu berücksichtigen, dass sich die Betroffenen mit inneren Konflikten, einem ambivalenten Verhältnis zu dem Partner, ökonomischen Zwängen und einem unzureichenden Unterstützungsangebot ausgesetzt sehen.
Das Bundessozialgericht hat 2001 entschieden, dass bei einem eigenen Tatbeitrag des Opfers eine Leistungsversagung wegen Mitverursachung nur dann in Betracht kommt, wenn „das Opfer in der konkreten Situation in ähnlich schwerer Weise wie der Täter gegen die Rechtsordnung verstoßen hat.“ (insbesondere im Urteil des 9. Senats des BSG vom 18.04.2001, B 9 VG 3/00 R, - BSGE 88,96 = NJW 2002, 1069). Eine leichtfertige Selbstgefährdung setzt nach dieser Rechtsprechung einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit voraus, der „etwa der groben Fahrlässigkeit i. S. des bürgerlichen Rechts entspricht“ (BSG a.a.O.). Hierbei gelte ein individueller, auf die persönlichen Fähigkeiten der Betroffenen abstellender Sorgfaltsmaßstab. Eine Leistungsversagung wegen Unbilligkeit könne nur dann erfolgen, wenn die dafür maßgeblichen Gründe des Einzelfalls „eine Entschädigung allerdings mit einem solchen Gewicht als unbillig erscheinen lassen, dass dies der in der 1. Alternative genannten Mitverursachung an Bedeutung annähernd gleich käme.“ (BSG a.a.O.).
Auf der Basis der vom BSG entwickelten Fallgruppen ist dies der Fall, wenn die/der Betroffene sich, „ohne sozial nützlich oder gar von der Rechtsordnung erwünscht zu handeln, der Gefahr einer Gewalttat bewusst oder leichtfertig aussetzt oder sich einer von ihm erkannten oder leichtfertig verkannten Gefahr nicht entzieht, obwohl ihm dies zumutbar möglich wäre.“ (BSG a.a.O) Hierbei ist die Erkenntnisfähigkeit der Geschädigten maßgeblich (so auch LSG Berlin-Brandenburg 10.01.2019, L 13 VG 3/18).
Forderungen:
- Opfer von Wohnungseinbrüchen müssen den Opfern einer Gewalttat nach § 14 SGB XIV gleichgestellt werden.
- Betroffene digitaler Gewalt müssen in den Anwendungsbereich der Sozialen Entschädigung einbezogen werden.
- Bei der Entscheidung über Soziale Entschädigung für Betroffene häuslicher Gewalt ist dem Einzelfall Rechnung zu tragen und der individuelle Sorgfaltsmaßstab nach der Rechtsprechung des BSG zu beachten.
2. Gleiche Leistungen für Inlands- und Auslandstaten
Das OEG hat im Laufe seiner Geschichte viele Gruppen ausländischer Bürgerinnen und Bürger, die in Deutschland Opfer einer Gewalttat werden, in den Kreis der Berechtigten aufgenommen. Durch die Novellierung des Sozialen Entschädigungsrechts sind Ausländer rückwirkend seit dem 01.07.2018 Deutschen völlig gleichgestellt worden. Diese zu begrüßende Fortentwicklung des Rechts der Gewaltopferentschädigung muss jedoch durch eine vollständige Gleichstellung der Leistungen bei Inlands- und Auslandstaten ergänzt werden. So sieht das Soziale Entschädigungsrecht bei Gewalttaten im Ausland weiterhin nur eingeschränkte und in ihrem Umfang deutlich unzureichende Leistungsansprüche vor. Berufsschadensausgleich ist bei Gewalttaten im Ausland ausgeschlossen. Geschädigte und ihre Hinterbliebenen erhalten statt monatlich wiederkehrenden Entschädigungszahlungen lediglich Einmalzahlungen, die in ihrer Höhe deutlich hinter den Leistungen für Inlandstaten zurückbleiben. Die Einmalzahlung beläuft sich etwa bei den Waisen eines an den Folgen der Schädigung gestorbenen Elternteils auf gerade einmal 2.719 Euro (Stand Februar 2025).
Eine solche Leistungshöhe kann nicht unter Verweis auf die Entschädigungszahlungen des Tatortstaates gerechtfertigt werden, da diese auf die Leistungen nach dem Sozialen Entschädigungsrecht anzurechnen sind. Es kommt noch hinzu, dass selbst in Staaten der Europäischen Union solche Entschädigungsregelungen nicht flächendeckend existieren. Ebenfalls angerechnet werden Leistungen aus privaten Sicherungs- und Vorsorgesystemen.
Erforderlich ist somit eine Anpassung der Leistungen für Auslandstaten an das Leistungsniveau für Inlandstaten. In Zeiten der Globalisierung und Weltoffenheit ist es erforderlich, deutschen Staatsangehörigen und Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, auch dann volle Leistungen des SGB XIV zu gewähren, wenn sie im Ausland Opfer einer Gewalttat werden. Zu dem vollen Leistungsanspruch für Taten im Ausland gehört dann auch die psychotherapeutische Frühintervention im Ausland. Im SGB XIV ist eine Gewährung Schneller Hilfen in solchen Fällen nur im Inland vorgesehen. Damit gibt es beispielsweise keine psychotherapeutische
Frühintervention im Ausland nach einem Terrorangriff. Gerade bei einer Gewalttat im Ausland ist die unverzügliche therapeutische Betreuung aber notwendig, da das stützende soziale Umfeld fehlt.
Erforderlich ist ferner ein unbedingter Rechtsanspruch auf Übernahme der im Ausland tatbedingt angefallenen Kosten der Krankenbehandlung nach dem Sachleistungsprinzip, sofern diese nicht anderweitig abgedeckt sind. Nach heutiger Rechtslage kommt eine Übernahme entsprechender Kosten lediglich als Ermessensleistung und nur im Erstattungswege in Betracht, wenn unmittelbar nach dem schädigenden Ereignis ein akuter Behandlungsbedarf besteht (vgl. § 102 Abs. 3 S. 2 SGB XIV in Verbindung mit § 51 SGB XIV). Eine solche reine Möglichkeit der nachträglichen Kostenerstattung ist nicht ausreichend, da Betroffene, die im Ausland auf Grund einer schweren Gewalttat akute medizinische Hilfe benötigen, im Regelfall nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, entsprechende Kosten vorzufinanzieren.
Forderungen:
- Für Taten im Ausland müssen die vollen Leistungen nach dem OEG/BVG und ab 2024 nach dem SGB XIV gewährt werden.
- Psychotherapeutische Frühintervention muss bereits im Ausland gewährt werden.
- Im Ausland anfallende tatbedingte Kosten der Krankenbehandlung sind vom Träger der Sozialen Entschädigung direkt mit den Leistungserbringern ohne Zwischenschaltung der Berechtigten abzurechnen.
3. Versorgung bei Wohnsitz von Geschädigten im Ausland
Der Gesetzgeber hat die Leistungen im Ausland in einem eigenständigen Kap. 14 des SGB XIV geregelt und damit der zunehmenden Bedeutung der Mobilität auch für die Berechtigten der Sozialen Entschädigung Rechnung getragen. Der Umfang der Leistungen bleibt jedoch zum Teil weiterhin unzureichend. So werden Leistungen der Schnellen Hilfen nur im Inland erbracht, was zur Folge hat, dass Geschädigte zur Inanspruchnahme von Leistungen in einer Traumaambulanz ins Inland anreisen müssen. Soweit geeignete Angebote der psychotherapeutischen Intervention in der Nähe des Auslandswohnsitzes zur Verfügung stehen, ist es jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb die Betroffenen von ihnen nicht vor Ort Gebrauch machen sollen.
Problematisch sind vor allem die Regelungen zum Berufsschadensausgleich. Er ist im Falle eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland grundsätzlich ausgeschlossen (§ 101 Abs. 7 S. 1 SGB XIV). Gewichtige Gründe, die eine solch schwerwiegende Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar. Gerade für Betroffene schwerer Gewalttaten kann es unter Umständen wichtig sein, zeitnah an einem anderen Ort ein neues Leben zu beginnen. Derzeit können Betroffene ihren Wohnsitz erst dann in das Ausland verlegen, nachdem Berufsschadensausgleich im Inland bewilligt wurde. Dies kann vor dem Hintergrund weiterhin langer Verfahrenslaufzeiten zur Folge haben, dass Geschädigte, die auf die Leistungen des Berufsschadensausgleichs zwingend angewiesen sind, hierdurch über Jahre faktisch daran gehindert werden, zu entscheiden, wo sie leben wollen. Es kommt noch hinzu, dass im Falle des Umzugs lediglich eine Abfindung gezahlt wird, die auf das 30-fache des festgestellten monatlichen Berufsschadensausgleichs gedeckelt ist (§ 101 Abs. 7 S. 2 SGB XIV). Mit der Abfindung sind alle Ansprüche abgegolten (§ 101 Abs. 7 S. 4 SGB XIV), was zur Konsequenz hat, dass eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Falle einer Rückkehr in das Inland ausgeschlossen ist.
Weiterhin sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung und zur Sozialen Teilhabe bei Betroffenen mit Wohnsitz im Ausland nicht vorgesehen (Winkler: jurisPK-SGB XIV, Stand 16.12.2024, § 101 Rn. 40). Auch insoweit werden dringend auf entsprechende Leistungen angewiesene Geschädigte benachteiligt. Diese Leistungen sind wichtig, damit Betroffene die Tatfolgen überwinden können.
Forderung:
- Leistungen der psychotherapeutischen Intervention sind auch im Ausland zu erbringen, soweit dort vergleichbare geeignete Angebote zur Verfügung stehen.
- Zahlung des vollen Berufsschadensausgleichs für Geschädigte mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland zu Inlandsbedingungen.
- Leistungen zur Teilhabe sind in gleichem Umfang auch an Geschädigte mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland zu erbringen.
4. Übergangsrecht
Auch Geschädigte, die vor dem 16.05.1976 eine Gewalttat in der Bundesrepublik Deutschland oder vor dem 03.10.1990 in der DDR erlitten haben, sollen in Zukunft uneingeschränkte Leistungen der Sozialen Entschädigung nach dem SGB XIV erhalten. Deshalb sind die Leistungseinschränkungen des früheren § 10a OEG und des aktuellen § 138 Abs. 3-5 SGB XIV umgehend aufzuheben. Geschädigte, die auch heute noch unter den Folgen solcher Gewalttaten leiden, sind durch die gesundheitlichen Einschränkungen seit Jahrzehnten belastet. Sie bedürfen in besonderem Maße der Unterstützung des Staates. Ihnen ist unter den gleichen Voraussetzungen Entschädigung zu gewähren wie denjenigen,
die erst nach dem Inkrafttreten des OEG vom 11.05.1976 Opfer geworden sind. Das gilt auch für Personen, die in der ehemaligen DDR vor der Wiedervereinigung eine Gewalttat mit gesundheitlichen Dauerfolgen erlitten haben. Leistungen durch die Täter oder Dritte stellen keinen adäquaten Ersatz dar.
Das SGB XIV wurde am 20.12.2019 im Bundesgesetzblatt verkündet. Die Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 SGB XIV greift mit dessen Inkrafttreten erst am 01.01.2024 zu spät. Das frühere Versorgungsrecht enthielt in § 10a OEG eine Härteklausel für Gewalttaten, die zeitlich vor dessen Inkrafttreten geschehen waren. Eine entsprechende Klausel muss auch in das SGB XIV-Versorgungsrecht aufgenommen werden, um bei Altfällen auch psychische Gewalttaten entschädigen zu können.
Das frühere Versorgungsrecht enthielt darüber hinaus in § 62 Abs. 3 BVG zugunsten derjenigen Versorgungsberechtigten, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten, Schutzvorschriften. Diese Versorgungsberechtigten waren davor geschützt, dass bei ihnen der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) wegen einer Besserung des schädigungsbedingten Gesundheitszustandes nachteilig geändert werden konnte. Der frühere BVG-Gesetzgeber wusste, dass ein Versorgungsberechtigter nach seinem 55. Lebensjahr rückwirkend keine adäquate Altersversorgung mehr aufbauen konnte. Der frühere BVG-Gesetzgeber hielt es deswegen für angemessen, diesen Personenkreis vor einem Leistungsverlust zu schützen, auch wenn er durch eine Verbesserung seines Gesundheitszustands oder durch eine Änderung der gutachterlichen Bewertungsgrundlagen nach aktueller Rechtslage nur noch eine niedrigere GdS-Einstufung bekommen würde.
An diesem versorgungsrechtlichen Schutzbedürfnis hat sich für Personen, deren gesundheitlichen Rahmenbedingungen sich nach Eintritt des 55. Lebensjahres verändert haben, auch im SGB XIV, nichts geändert. Es bedarf deswegen auch im neuen SGB XIV-Leistungsrecht einer sachgleichen Schutzvorschrift, wenn der GdS in den letzten 10 Jahren seit einer versorgungsrechtlichen Feststellung unverändert geblieben ist. Für Versorgungsberechtigte,
die bei Inkrafttreten des SGB XIV bereits unter der Schutzwirkung des früheren § 62 Abs. 3 BVG standen, entfaltet der Wegfall dieser Schutzwirkung im neuen Versorgungsrecht eine echte Rückwirkung, die nach der Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 23.06.2020 - B 2 U 10/18 R, unzulässig ist. Hierauf wird auch in der Kommentierung von Busse/Fuhrmann/Schneider/Wältermann, SGB XIV - Kommentar zum Sozialen Entschädigungsrecht, § 149 Rn. 5, zu Recht hingewiesen.
Forderung:
- Aufhebung der leistungsrechtlichen Einschränkungen des früheren § 10a OEG und der aktuellen Regelung in § 138 Abs. 3-5 SGB XIV.
- Die in §13 SGB XIV einbezogenen psychischen Gewalttaten müssen bereits ab dem 20.12.2019 zu Leistungen berechtigen.
- Für psychische Gewalttaten, die zeitlich vor dem 20.12.2019 geschehen sind, muss eine Härtefallregelung geschaffen werden, damit zumindest schwere und dauerhafte Tatfolgen entschädigt werden können.
- Bei Versorgungsberechtigten, die bereits das 55. Lebensjahr vollendet haben, ist der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) auch im Falle einer Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse nicht niedriger festzusetzen, wenn der GdS in den letzten 10 Jahren unverändert geblieben ist.
5. Voller Erhalt des Berufsschadensausgleichs
Der WEISSE RING begrüßt die unveränderte Beibehaltung der Regelungen zum Berufsschadensausgleich. Es ist wichtig, dass die perspektivische berufliche Entwicklung auch zukünftig im SGB XIV berücksichtigt wird. Der Berufsschadensausgleich stellt, ebenso wie die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, eine der Leistungen dar, die einen Schadensausgleich geben und für Geschädigte gleichzeitig soziale Sicherheit gewährleisten.
Die bisherige BVG-Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV) ist im Zuge der Novellierung durch die SGB XIV-BSchAV ersetzt worden. Hierdurch ist es zu einer rechtlichen Schlechterstellung gekommen. Durch die Neuregelung sind zahlreiche Einkünfte, die bisher wegen einer Bezugnahme auf die frühere Ausgleichsrentenverordnung (Verordnung über die Einkommensfeststellung nach dem Bundesversorgungsgesetz) bei der Berechnung anrechnungsfrei waren, nunmehr zum Nachteil der Geschädigten anzurechnen.
Zur Vermeidung von Bürokratie in der Versorgungsverwaltung sollten nur solche Einkünfte in die Berechnung des Berufsschadensausgleichs einbezogen werden, die nach Art und Umfang durch Steuerbescheide der Finanzverwaltung bereits rechtsverbindlich geklärt sind.
Der Gesetzgeber hat im neuen Recht gemäß § 28 Abs. 3 SGB XIV Leistungsansprüche der Geschädigten aus privaten Sicherungs- oder Versorgungssystemen von der Anrechnung ausdrücklich ausgenommen. Dies wird durch uns begrüßt.
Forderungen:
- Vollständiger unveränderter Erhalt des Berufsschadensausgleichs mit inhaltsgleicher Berufsschadensausgleichsverordnung unter Beachtung der gesetzlichen Freistellung von Leistungen aus privaten Sicherungs- oder Versorgungssystemen.
- Berücksichtigung ausschließlich solcher Einkünfte bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs, die anhand ergangener Steuerbescheide der Finanzverwaltung nach Art und Umfang geklärt sind.
6. Monatliche Entschädigungszahlungen für Waisen
Mit den Entschädigungszahlungen für Waisen (§ 87 SGB XIV) hat der Gesetzgeber die bisherige Grund- und Ausgleichsrente für Waisen (§ 46, 47 BVG) zu einer gemeinsamen Leistung zusammengefasst und in das neue Soziale Entschädigungsrecht überführt. Diese Rechtsvereinfachung ist zu begrüßen. Allerdings sind die entsprechenden Neuregelungen für die Berechtigten auch mit gravierenden Nachteilen verbunden.
So setzt der Anspruch auf die monatlichen Entschädigungszahlungen für Vollwaisen nach § 87 Abs. 2 SGB XIV voraus, dass beide Eltern schädigungsbedingt verstorben sind. Dies stellt im Verhältnis zur bisherigen Rechtslage betreffend die Grund- und Ausgleichsrente eine Verschärfung dar. Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 46 BVG galt eine Waise selbst dann als Vollwaise, wenn der eine Elternteil an einer Schädigung gestorben und der andere Elternteil verschollen oder der Vater unbekannt war. Auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist es für den Erhalt von Vollwaisenrente nicht erforderlich, dass beide Elternteile durch einen Versicherungsfall verstorben sind (§ 67 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII). Ob dem Gesetzgeber im Rahmen der Neuregelung der Hinterbliebenenleistungen für Vollwaisen lediglich ein redaktionelles Versehen unterlaufen ist oder eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung getroffen wurde, geht aus der Gesetzesbegründung nicht hervor (vgl. BT-Drs. 19/13824, 208; krit. Gelhausen in: Gelhausen/Weiner SGB XIV, 8. Aufl. 2024, § 87 Rn. 2).
Weiterhin ist zu konstatieren, dass Berechtigte, die nach bisheriger Rechtslage Anspruch auf Grund- und Ausgleichsrente für Waisen hatten, höhere Leistungen erhielten. So ergibt die Addition von Grund- und Ausgleichsrente für Halbwaisen nach der bis 31.12.2023 geltenden Rechtslage (234 Euro + 265 Euro) einen monatlichen Zahlungsanspruch in Höhe von 499 Euro. Die monatliche Entschädigungszahlung für Halbwaisen beläuft sich seit dem 01.07.2025 hingegen auf lediglich 423 Euro.
Schließlich hat der Gesetzgeber die bisherige Waisenbeihilfe für Berechtigte, deren rentenberechtigter Elternteil nicht an den Folgen der Schädigung verstorben war (§ 48 BVG), nicht in das SGB XIV überführt.
Forderungen:
- Ein Anspruch auf höhere Entschädigungszahlungen für Vollwaisen darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass beide Elternteile schädigungsbedingt verstorben sind.
- Die Entschädigungsleistungen für Waisen sind deutlich anzuheben.
- Schaffung einer der bisherigen Waisenbeihilfe vergleichbaren Leistung.
7. Leistungen der Traumaambulanzen
Traumaambulanzen gewähren einen schnellen Zugang zu psychotherapeutischer Unterstützung einschließlich Maßnahmen der Psychoedukation. Sie können damit die Ausbildung einer psychischen Erkrankung oder deren Chronifizierung verhindern. Umso wichtiger ist es, dass ein flächendeckendes Netz qualifizierter Angebote besteht. Mit der Traumaambulanz-Verordnung wurden wichtige Rahmenbedingungen und Qualitätsanforderungen festgelegt. Die Traumaambulanzen haben grundsätzlich sicherzustellen, dass Leistungsberechtigte innerhalb von fünf Werktagen nach der Kontaktaufnahme einen Behandlungstermin erhalten (§ 8 Abs. 4 Satz 1 Traumaambulanz-Verordnung).
Der WEISSE RING begrüßt, dass seine Forderungen nach einer Approbation und traumatherapeutischen Zusatzqualifikation des Behandlungspersonals bei Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen sowie die Gewährleistung einer Wahlmöglichkeit zwischen männlichen oder weiblichen Behandelnden umgesetzt wurden. Hoch problematisch ist allerdings, dass die Traumaambulanz-Verordnung verschiedene Ausnahmen vorsieht, wenn die in ihr formulierten Regelanforderungen auf Grund der regionalen Versorgungsstrukturen nicht sichergestellt werden können. So sieht § 3 Abs. 3 Traumaambulanz-Verordnung vor, dass auf die erforderliche traumaspezifische Qualifikation des Behandlungspersonals bei Erwachsenen (vorübergehend) verzichtet werden kann, wenn die Versorgung mit einer ausreichenden Anzahl von Traumaambulanzen anderenfalls nicht sichergestellt ist. Eine entsprechende Ausnahme enthält die Traumaambulanz-Verordnung in § 4 Abs. 4 selbst bei Kindern und Jugendlichen, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind. Die hinreichende Qualifikation des Personals ist jedoch Grundvoraussetzung dafür, dass die Traumaambulanzen die an sie gestellten Erwartungen erfüllen können.
Fragwürdig erscheint auch die Festlegung des § 7 Abs. 3 Traumaambulanz-Verordnung, wonach von einer ausreichenden Anzahl von Traumaambulanzen ausnahmsweise selbst dann noch ausgegangen werden könne, wenn die nächstgelegene Einrichtung innerhalb einer Fahrzeit von einer Stunde und 30 Minuten erreicht werden kann. Es ist zu befürchten, dass Betroffene durch entsprechende Anfahrwege überfordert werden und von der Inanspruchnahme benötigter Leistungen absehen. Soweit in der Aufbauphase ein flächendeckendes Netz von Traumaambulanzen nicht zur Verfügung steht, sollten entsprechende Anfahrwege (ausnahmslos) durch die Schaffung mobiler Traumaambulanzen vermieden werden.
Unabdingbar ist die in § 35 SGB XIV vorgesehene Verpflichtung der Träger der Sozialen Entschädigung, Berechtigte bei weiterem psychotherapeutischem Behandlungsbedarf auf Angebote außerhalb der Traumaambulanz zu verweisen. Diese dürfen sich hierbei nicht mit einer bloßen Beratung der Berechtigten begnügen, sondern haben diese beim Auffinden eines geeigneten Therapieplatzes aktiv zu unterstützen. Zu den Unterstützungsleistungen kann es gehören, die Berechtigten über institutionalisierte Angebote der Therapieplatzvermittlung zu informieren. Auch gehört es zu den Aufgaben der Träger, Verbindungen zu Anbietern psychotherapeutischer Angebote außerhalb der Traumaambulanzen herzustellen, um ggf. selbst Kontakte zu in Betracht kommenden Therapeutinnen und Therapeuten vermitteln zu können. Sollten Berechtigte einen weitergehenden Unterstützungsbedarf bei der Suche nach einem Therapieplatz haben, kann ihnen ggf. das Fallmanagement behilflich sein (vgl. Mushoff in: Knickrehm/Rademacker, SGB XIV, 2. Aufl. 2024, § 35 Rn. 14).
Idealerweise sind die Traumaambulanzen in diesen Prozess einzubeziehen. Nur hierdurch kann eine Unterbrechung der Behandlung und damit eine Verschlechterung bis hin zur Chronifizierung vermieden werden. Soweit erforderlich, ist die Weiterbehandlung durch Beauftragung der Traumaambulanz nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 SGB XIV sicherzustellen.
Forderung:
- Zügiger weiterer Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Traumaambulanzen, um so die Versorgung auch außerhalb von Ballungszentren zu gewährleisten.
- Das Behandlungspersonal in den Traumaambulanzen hat ausnahmslos über eine traumaspezifische Zusatzqualifikation zu verfügen.
- Anspruch auf Weiterbehandlung der Berechtigten in der Traumaambulanz, bis ein Angebot außerhalb der Traumaambulanz bei weiterem Behandlungsbedarf tatsächlich verfügbar ist, um so die lückenlose Behandlung zu gewährleisten.
8. Rechtsanspruch auf Assistenzhunde
Ein Assistenzhund ist ein „unter Beachtung des Tierschutzes und des individuellen Bedarfs eines Menschen mit Behinderungen speziell ausgebildeter Hund, der aufgrund seiner Fähigkeiten und erlernten Assistenzleistungen dazu bestimmt ist, diesem Menschen die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, zu erleichtern oder behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen.“ (§ 12e Abs. 3 Behindertengleichstellungsgesetz, BGG). Assistenzhunde können Personen, die in der Mobilität eingeschränkt sind, zum Beispiel Rollstuhlfahrern, im Alltagsleben wertvolle Hilfe leisten. Sie übernehmen Aufgaben, die Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung nicht mehr selbst erledigen können. So sind sie beispielsweise in der Lage, beim An- und Ausziehen zu helfen, heruntergefallene Gegenstände aufzuheben oder Türen zu öffnen und zu schließen. Sie können aber auch eine Warnfunktion übernehmen, beispielsweise Diabetiker bei einer drohenden Unterzuckerung oder Epileptiker vor einem bevorstehenden Anfall warnen. Auch im Falle einer psychischen Krankheit geben sie dem Kranken mehr Selbstständigkeit und Sicherheit im Alltag.
Assistenzhunde werden zur Unterstützung bei vielfältigen Handicaps eingesetzt: Neben psychischen Erkrankungen, Demenz oder schwerwiegenden körperlichen Beeinträchtigungen sind speziell ausgebildete Assistenzhunde sogar fähig, an Autismus leidende Patienten in Stresssituationen zu beruhigen.
In der Regel bilden Trainer Assistenzhunde aus und leben während der Ausbildungszeit mit ihnen zusammen. Diese Ausbildung kostet zwischen 25.000 und 30.000 € und dauert ein bis anderthalb Jahre. An die Ausbildung muss sich eine weitere Ausbildung bei dem Menschen anschließen, den der Hund unterstützen soll. Der Hund muss sich an die neue Situation gewöhnen und lernen, die dort anfallenden Aufgaben zu übernehmen. Beide müssen zu einer Mensch-Assistenzhund-Gemeinschaft zusammenwachsen. Diese weitere Schulung durch einen Trainer kann mehrere Monate dauern und verursacht in der Regel weitere erhebliche Kosten.
Die Übernahme der Kosten für einen Assistenzhund wird häufig vom Träger der Sozialen Entschädigung abgelehnt. Neben der Krankenbehandlung gewährt das Soziale Entschädigungsrecht einen Rechtsanspruch auf Leistungen zur Sozialen Teilhabe und verweist im Leistungsumfang auf das Teilhaberecht (§ 66 SGB XIV i.V.m. § 113 SGB IX). Hiervon umfasst ist auch der Rechtsanspruch auf einen Assistenzhund. Die Krankenkassen übernehmen üblicherweise lediglich die Kosten für Blindenführhunde, nicht aber für sonstige Assistenzhunde, obwohl auch andere Assistenzhunde ein Hilfsmittel i.S.d. § 33 SGB V sein können, was sich aus § 12e Abs. 6 BGG ergibt.
Die Gestellung eines Assistenzhundes ist kein Luxus, sondern eine Pflicht, die der soziale Rechtsstaat angesichts der vielfältigen Vorteile bei bestimmten Erkrankungen oder Behinderungen anerkennen sollte. Ein Assistenzhund bietet Selbstständigkeit und Sicherheit und hat eine positive Wirkung auf die psychische Verfassung.
Forderung:
- Übernahme der gesamten Kosten für die Anschaffung und den Unterhalt eines Assistenzhundes im Rahmen der Krankenbehandlung oder im Rahmen der sozialen Teilhabe.
9. Leistungen des Ergänzenden Hilfesystems
Der Runde Tisch sexueller Kindesmissbrauch hat in seinem Abschlussbericht vom November 2011 die Einrichtung eines ergänzenden Hilfesystems gefordert:
„Das Hilfesystem dient der Unterstützung Betroffener, die in der Vergangenheit Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs wurden. Die gesellschaftliche Debatte der Missbrauchsfälle, welche zur Einrichtung des Runden Tisches geführt hat, wie auch die Diskussionen und Ergebnisse des Runden Tisches selbst werden in Zukunft den Betroffenen die Geltendmachung ihrer Rechte wesentlich erleichtern. (…) Das Hilfesystem dient daher der Hilfe in Missbrauchsfällen aus der Vergangenheit, soweit den Betroffenen die vom Runden Tisch angestoßenen dauerhaften Verbesserungen nicht mehr helfen können. Antragsberechtigt sollen folglich Betroffene eines Kindesmissbrauchs sein, der nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (23. Mai 1949) und vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Rechte der Opfer sexuellen Missbrauchs (StORMG) stattgefunden hat.“
Geschädigte können aus dem Fonds Unterstützung von bis zu 10.000 € (bis zu 15.000 € bei behinderungsbedingten Mehraufwendungen) für beispielsweise psychotherapeutische Hilfen, Heil- und Hilfsmittel, Kosten im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Missbrauchs oder zur Unterstützung bei der Weiterbildung erhalten. Die Leistungen des Fonds schränken weitergehende Leistungen des OEG oder des SGB XIV nicht ein.
Die vom Runden Tisch geforderten Verbesserungen unter anderem im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung und im Opferentschädigungsrecht sind aber leider bis heute nicht festzustellen. Geschädigte haben nach wie vor erhebliche Probleme, benötigte Therapien schnell, in ausreichender Zahl und durch fachlich geeignete Therapeuten zu erhalten oder allgemein ihre Entschädigungsansprüche durchzusetzen. Dies führt dazu, dass Geschädigte, die nach dem Inkrafttreten des StORMG am 30.06.2013 Opfer eines Kindesmissbrauchs wurden, keinesfalls bessergestellt sind als diejenigen, die vor dem Stichtag Opfer wurden.
Die bundesweit eingerichteten Traumaambulanzen bieten einen zeitnahen Zugang zu einer Frühintervention. Diese gesetzliche Regelung wird ausdrücklich begrüßt. Damit wird aber die bestehende Problematik fehlender Therapieangebote bei einer anschließend noch erforderlichen Psychotherapie nicht behoben. Hier fehlt es weiterhin an einer ausreichenden Anzahl besonders kompetenter und erfahrener Therapeuten/Therapeutinnen in Bezug auf die Behandlung traumatisierter Patienten, und zwar auch für besondere Personengruppen, wie z.B. Kinder und Jugendliche, ältere Menschen oder Personen mit Migrationshintergrund. Hinzu kommt, dass Traumaambulanzen Probleme haben, die vorgeschriebene Terminstruktur einzuhalten oder ganz schließen. Das neue Soziale Entschädigungsrecht strebt zwar Verbesserungen zugunsten der Geschädigten an. Es ist aber festzustellen, dass auch das neue System Mängel bzw. Lücken zeigt.
Auch die Erweiterung der Leistungen nach dem SGB XIV haben nicht zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation der Betroffenen geführt. Die Regelsysteme gewährleisten nach wie vor nicht ausreichend die dringend benötigte Versorgung der Betroffenen. Das Bundesfamilienministerium sieht ergänzende Hilfen für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend als wichtig an, um Lücken in den gesetzlichen Sicherungssystemen zu schließen. Die Leistungen des Fonds sind daher auch zukünftig erforderlich. Der Beschluss der Bundesregierung, den Fonds einzustellen, ist aufzuheben. Gleiches gilt für die ab dem 01.01.2025 vorgesehenen Einschränkungen. Die Regelungen für den Fonds sind gesetzeskonform, aber ohne Belastung für die Betroffenen auszugestalten.
Forderungen:
- Die Einschränkungen in der Richtlinie für die Gewährung von Hilfen des Bundes für Betroffene sexueller Gewalt und die vorgesehene Beendigung des Fonds sind aufzuheben und die Regelungen ohne Einschränkungen für die Betroffenen rechtssicher auszugestalten.
- Die Leistungen des Fonds Sexueller Missbrauch sind auch für Taten, die nach dem Inkrafttreten des StORMG im Juni 2013 geschehen sind, zu gewähren. Dies muss uneingeschränkt gelten, solange die Regelsysteme noch nicht die erforderlichen Leistungen erbringen.
B. Qualität des Verfahrens
1. Schnelle Leistungsgewährung
Durch die leider übliche jahrelange Dauer der Verfahren werden Opfer von Gewalttaten zusätzlich belastet. Eine schnellere Leistungsgewährung und ein einfühlsamer Umgang mit den Betroffenen gehören zu den langjährigen Forderungen des WEISSEN RINGS. Eine aktive Betreuung und Förderung der Antragsverfahren, die der Fürsorgepflicht des Staates und dem entschädigungsrechtlichen Ansatz des Gesetzes Rechnung tragen, sind unabdingbar. Dies gilt nicht nur für die Verwaltung, sondern ebenso für die Sozialgerichtsbarkeit.
Opfer von Gewalttaten dürfen nicht länger durch die Dauer der Verfahren und hiermit einhergehende Belastungen davon abgehalten werden, ihnen zustehende Entschädigungsleistungen geltend zu machen. Immer wieder werden Anträge nicht gestellt oder aber laufende Entschädigungsverfahren nicht weiterverfolgt, weil die hiermit einhergehenden Belastungen nicht tragbar sind. Über Leistungsanträge ist innerhalb eines Jahres zu entscheiden. Die maximale Verfahrensdauer kann nur in Ausnahmefällen überschritten werden, beispielsweise wenn Gutachten eingeholt werden müssen.
Der Vorbehalt von Leistungen der Teilhabe („Reha vor Rente“) kann nicht mehr greifen, wenn innerhalb der Jahresfrist notwendige und zumutbare Reha-Leistungen nicht angeboten worden sind. Die Bestimmung des §§ 27, 89 Abs. 1 Nr. 2 SGB XIV sind dahingehend zu ergänzen, dass die Sperrwirkung entfällt, wenn innerhalb der Jahresfrist kein erfolgversprechendes und zumutbares Reha-Angebot unterbreitet worden ist.
Um das Ziel der Beschleunigung der Verfahren zu erreichen, ist das Gesetz außerdem durch eine Genehmigungsfiktion wie beispielsweise in § 13 Abs. 3a SGB V zu ergänzen und sind die Regelungen des § 18 SGB IX zur Erstattung selbstbeschaffter Leistungen durch Löschung der Sonderreglung für das Soziales Entschädigungsrecht in § 18 Abs. 7 SGB IX hinsichtlich der Leistungen nach § 62 Ziffer 1 bis 3 SGB XIV für anwendbar zu erklären.
Weiterhin ist, wo dies erforderlich ist, die Zahl der für die Bearbeitung von Entschädigungssachen nach dem OEG bzw. SGB XIV zuständigen Beschäftigten zu erhöhen. Die Verwaltungsbehörde muss über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang entscheiden. Wenn die Verwaltungsbehörde eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Die gutachtliche Stellungnahme ist innerhalb von drei Wochen zu erstatten. Der
Sachverständige wird auf die Frist hingewiesen. Kann die Verwaltungsbehörde die o.g. Fristen nicht einhalten, teilt sie dies den Berechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich die Berechtigten nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Verwaltungsbehörde zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet.
Die dargestellten Fristen gelten nicht für Anträge auf Entschädigungszahlungen.
Forderungen:
- Über Anträge ist innerhalb eines Jahres zu entscheiden.
- Anträge auf Krankenbehandlung oder medizinische Rehabilitation gelten als genehmigt, wenn sie nicht innerhalb von 3 Wochen abgelehnt werden.
- §§ 27, 89 Abs. 1 Nr. 2 SGB XIV sind dahingehend zu ergänzen, dass die Sperrwirkung entfällt, wenn eine erfolgversprechende und zumutbare Rehamaßnahme nicht binnen Jahresfrist angeboten worden ist.
- Streichung der Ausnahmeregelung für das Soziale Entschädigungsrecht in § 18 Abs. 7 SGB IX.
2. Notwendige Ergänzungen der Verfahrensregeln
Die Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten enthält umfangreiche Bestimmungen zu den in den strafrechtlichen Verfahren enthaltenden Standards. So normiert die Richtlinie das Recht der Betroffenen zu verstehen und verstanden zu werden (Art. 3), das Recht auf Information bei der ersten Kontaktaufnahme mit einer zuständigen Behörde (Art. 4), ein Recht auf Information zum Fall (Art. 6) sowie ein Recht auf Dolmetschleistung und Übersetzungen. Im Strafverfahren haben Betroffene Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 10) sowie Schutzrechte, so z. B. die
Beschränkung der Anzahl der Vernehmungen auf ein Mindestmaß (Art. 20). Die Mitgliedstaaten sind ferner verpflichtet, für eine Schulung der Berufsgruppen Sorge zu tragen, die mit Betroffenen in Kontakt kommen (Art. 25). Diese Rechte sind auch auf das OEG- bzw. das SGB XIV-Verfahren übertragbar, aber sind bisher nur teilweise realisiert worden, so z.B. in § 12 SGB XIV durch Übernahme von Kosten für einen Dolmetscher. Die entsprechenden Vorschriften des deutschen Rechts sind zu ergänzen.
Die Behörden müssen sicherstellen, dass die mündliche und schriftliche Kommunikation mit Antragstellern in verständlicher Sprache geführt wird. Hierbei ist die persönliche Situation von Antragstellern zu berücksichtigen. Die Behörden sind nach § 17 SGB I verpflichtet, sicherzustellen, dass Berechtigte die ihnen zustehenden Sozialleistungen umfassend und zügig erhalten. Hierzu ist ohne gesonderte Antragstellung die Leistungserbringung in Form von vorläufigen Leistungen zu prüfen. Antragsteller sind insbesondere über das Angebot der psychologischen Frühintervention in Traumaambulanzen zu informieren. Sie sollten auch zu einer möglichen Anspruchsberechtigung von Personen aus deren persönlichem Näheverhältnis beraten werden. Im Übrigen gelten die Bestimmungen des SGB I und X.
Für die Verwirklichung der Leistungsansprüche ist wichtig, dass die Gewaltopfer ausreichend über ihre Rechte informiert werden. Die Information müssen bereits durch die polizeilichen Einsatzkräfte und in den Krankenhäusern und durch behandelnde Ärzte gegeben werden.
Es würde den Bekanntheitsgrad des Rechts der Gewaltopferentschädigung steigern und mehr Betroffenen als bisher Entschädigungsleistungen ermöglichen, wenn alle staatlichen Stellen und die behandelnden Ärzte verpflichtet würden, Opfer von Gewalttaten auf ihre Rechte hinzuweisen und einen Antrag an die Versorgungsverwaltung weiterzuleiten. Der WEISSE RING fordert eine Informationspflicht aller staatlichen Stellen. Die durch das 2. Opferrechtsreformgesetz in die Strafprozessordnung (StPO) eingefügte Informationspflicht der Strafverfolgungsbehörden nach § 406j StPO ist ein wichtiger erster Schritt, muss aber in der Praxis intensiver umgesetzt werden. Die Behörden sollen außerdem ihr Unterstützungsangebot zur Weitergabe bei Polizei, Opferhilfeorganisationen, Beratungsstellen sowie Notfallambulanzen hinterlegen und dies auch auf ihren jeweiligen Homepages sichtbar machen.
Forderungen:
- Respektvoller Umgang mit Gewaltopfern, u. a. durch Verhinderung von belastenden Mehrfachvernehmungen.
- Bereitstellung von geeigneten Informationen und Hilfsangeboten.
- Bereitstellung von für Betroffene verständlichen Informationen über Entschädigungsleistungen.
3. Sicherstellung der sofortigen Heilbehandlung
In der Wissenschaft besteht Einigkeit, dass nach einem Extremereignis, wie dies eine schwere Gewalttat darstellt, sofortige psychotherapeutische Hilfe erforderlich ist. Diese besteht in der Aufklärung, Beratung, Behandlung und Stabilisierung. Wird die Hilfe sofort zur Verfügung gestellt, kann in einer Vielzahl von Fällen eine vollständige Verarbeitung des Erlebten erreicht werden.
§§ 119 Abs. 1 und 43 Abs. 1 SGB XIV geben der Versorgungsverwaltung die Möglichkeit, sofort nach jeder Gewalttat auf Antrag oder von Amts wegen (§ 10 Abs. 3 SGB XIV) tätig zu werden. Sobald Geschädigte glaubhaft eine vorsätzliche Gewalttat schildern oder eine solche sich aus den äußeren Umständen ergibt, bei der die Gefahr einer seelischen Erkrankung besteht, ist die Versorgungsverwaltung zuständig. Wann diese Gefahr besteht, ergibt sich aus der bisherigen Nr. 71 der „Anhaltspunkte“, die nach der Begründung der Versorgungsmedizin-Verordnung auch weiterhin gilt. So wichtig der schnelle Start der Hilfe bei physischen Verletzungen ist, so wichtig ist auch die sofortige Hilfe bei psychischen Verletzungen.
Forderung:
- Die Verwaltung ist aufgerufen, ihre aktive Rolle im Rahmen der Krankenbehandlung und Rehabilitation offensiv wahrzunehmen.
4. Qualität der Begutachtung
Die Qualität der Begutachtung in den Verwaltungs- und Gerichtsverfahren des Sozialen Entschädigungsrechts ist zu verbessern. Gewaltopfer haben einen Anspruch auf eine kompetente, zeitnahe und qualitätsgesicherte Begutachtung. Dies gilt insbesondere für die Feststellung psychischer Folgen von Gewalttaten. In diesen Verfahren tätige Gutachter müssen mögliche gesundheitliche Auswirkungen von erlittenen Traumata ebenso wie die einzelnen Krankheitsbilder kennen. Sie müssen deren Bedeutung für die Feststellung von Kausalzusammenhängen ebenso wie deren Auswirkung auf die Aussagefähigkeit der Opfer beurteilen und bei der Beantwortung der Fragestellungen sachgerecht bewerten können.
Bei der Auswahl von Gutachterinnen und Gutachtern ist insbesondere bei der Begutachtung von Traumafolgestörungen auf die spezifische fachliche Eignung des Sachverständigen zu achten. Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung die Feststellung der Geeignetheit regeln. Hierbei kann z. B. auf das Curriculum der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) (Empfehlung des Vorstandes für den Erwerb einer Zusatzqualifikation „Begutachtung reaktiver psychischer Traumafolgen (DeGPT) im sozialen Entschädigungsrecht und in der gesetzlichen Unfallversicherung“, 3. Fassung 2014) zurückgegriffen werden.
Mit der Gutachtenerstellung sollten nur solche Gutachterinnen und Gutachter beauftragt werden, die signalisieren und tatsächlich in der Lage sind, ihre Gutachten in angemessener Zeit (im Verwaltungsverfahren maximal drei Monate) zu erstatten. Erstellte Gutachten sind fortlaufend auf ihre Übereinstimmung mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu überprüfen (vgl. DeGPT. „Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen im sozialen Entschädigungsrecht und in der gesetzlichen Unfallversicherung“).
Antragstellerinnen und Antragsteller sollten Gelegenheit haben, geeignete Gutachter vorzuschlagen. Wie in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 200 Abs. 2 SGB VII) sollten ihnen mehrere Gutachter zur Auswahl vorgeschlagen werden. Sie sind auf ihr Widerspruchsrecht gegen die Übermittlung von Sozialdaten hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren.
Forderungen:
- Sicherstellung der besonderen fachlichen Eignung der Gutachterinnen und Gutachter.
- Sicherstellung der medizinischen Sachverhaltsaufklärung in angemessener Zeit.
- Vorschlags- und Auswahlrecht des Berechtigten.
5. Tatnachweis
Leistungen nach dem Recht der Gewaltopferentschädigung können nur gewährt werden, wenn festgestellt wird, dass die Antragstellerin bzw. der Antragsteller Opfer einer körperlichen oder psychischen Gewalttat im Sinne des § 13 SGB XIV oder einer nach § 14 SGB XIV gleichgestellten Tat geworden ist. Grundsätzlich müssen sämtliche Voraussetzungen der gesetzlichen Entschädigungstatbestände zur vollen Überzeugung der Verwaltung oder des Gerichts erfüllt sein. Zur Anerkennung der Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge genügt nach § 4 Abs. 4 SGB XIV jedoch eine einfache Wahrscheinlichkeit. Lässt sich dies im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren nicht feststellen, geht die Nichterweislichkeit nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zulasten der Antragstellerin bzw. des Antragstellers.
Im Einzelfall können sich diese Beweisanforderungen für die Betroffenen als unangemessen hoch erweisen. Der Gesetzgeber hatte daher bereits in § 15 des Verwaltungsverfahrensgesetzes der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zugunsten der Antragstellerinnen und Antragsteller eine Beweiserleichterung geschaffen. Danach waren die Angaben der Antragstellerin bzw. des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Der Regelungsgehalt der Vorschrift wurde zum 01.01.2024 in § 117 SGB XIV überführt. Die Anwendung der Beweiserleichterung setzt keine aussagepsychologische Begutachtung voraus. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist ureigenste Aufgabe der Richterin bzw. des Richters.
Zudem ist die Glaubhaftigkeitsbegutachtung ursprünglich für das Strafverfahren entwickelt worden und geht von gesunden Zeuginnen bzw. Zeugen aus. Psychische Erkrankungen führen aber gerade aufgrund der Traumafolgen häufig dazu, dass die entsprechenden Gutachten zur Glaubhaftigkeit negativ ausfallen, da den Angaben der Betroffenen auf Grund ihrer Erkrankung misstraut wird. Für die Betroffenen sind die entsprechenden Explorationen mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden. Daher sollte von der Einholung von Glaubhaftigkeitsgutachten ein zurückhaltender Gebrauch gemacht werden. Die Beweiserleichterung hilft beispielsweise Antragstellerinnen und Antragstellern, die in der Jugend Opfer sexuellen Missbrauchs in der Familie geworden sind, auch wenn sie erst als Erwachsene einen Antrag auf Entschädigung stellen und dann keine Zeuginnen oder Zeugen zur Verfügung stehen.
Allerdings hilft die Beweiserleichterung nicht, wenn Betroffene keinerlei Erinnerung an die Tat haben. Auch bei einem getöteten Opfer oder bei unbekannten Tätern gelingt es zum Teil nicht, einen vorsätzlichen Angriff nachzuweisen. Liegen in diesen Fällen Anhaltspunkte dafür vor, dass Geschädigte Opfer eine Gewalttat geworden sind, ist die Verwaltung aufgerufen, durch rechtsmedizinische Begutachtung zu klären, ob von einer Gewalttat ausgegangen werden muss oder ob eine andere Ursache überwiegend wahrscheinlich erscheint.
Forderungen:
- Konsequente Anwendung der Beweiserleichterung des § 117 SGB XIV.
- Glaubhaftigkeitskeitsbegutachtungen nur in Ausnahmefällen.
- Konsequente Nutzung rechtsmedizinscher Expertise.
6. Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen Gewalttat und psychischen Folgen
Opfer von Gewalttaten erhalten bei psychischen Störungen nur dann Leistungen, wenn sie nachweisen können, dass die psychische Belastung durch diese Tat verursacht worden ist. Das stößt im Einzelfall auf erhebliche Schwierigkeiten. Das Bundessozialgericht (BSG) hat deshalb in seiner Entscheidung vom 12.06.2003 (B 9 VG 1/02 R) ausgeführt, dass eine bestärkte Wahrscheinlichkeit für diesen Zusammenhang besteht, wenn ein Ereignis nach den medizinischen Erkenntnissen in signifikant erhöhtem Maße geeignet ist, eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen. Grundlage für die Beurteilung ist Ziffer 71 der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“. Eine solche bestärkte Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn im Einzelfall nach Maßgabe der in den Anhaltspunkten festgestellten allgemeinen medizinischen Erkenntnisse die Tatsachen im konkreten Fall einen Ursachenzusammenhang begründen.
Das Bundessozialgericht und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatten seit langem eine demokratische Legitimation der Anhaltspunkte gefordert. Die Anhaltspunkte wurden zum 01.01.2009 in die „Versorgungsmedizin-Verordnung“ überführt. Hiermit nicht verbunden war eine Überarbeitung und Anpassung an die aktuellen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Ferner wurde der Teil „Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen“ nicht in die Anlage zur Verordnung aufgenommen. Hierdurch kann eine erhebliche Rechtsunsicherheit hervorgerufen und die Einheitlichkeit der Verwaltungspraxis gefährdet werden. Kausalitätsvermutungen können in Verordnungen geregelt werden. So enthält zum Beispiel für die Soldatenversorgung die Einsatzunfallverordnung (EinsatzUV) eine Vermutung über den Zusammenhang zwischen einer in der Verordnung genannten psychischen Störung und einem Einsatzunfall.
Der Bundesrat hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bereits 2008 aufgefordert, zeitnah nach Inkrafttreten der Verordnungsmedizin-Verordnung mit den Ländern in einen Dialog zur Überarbeitung und Schaffung von Rechtssicherheit im Bereich der Beurteilung der Ursachenzusammenhänge einzutreten. Um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, muss die Anlage 2 der Versorgungsmedizinverordnung um die bisherigen Kausalitätsbestimmungen, insbesondere der Nr. 71 der Anhaltspunkte, ergänzt, überarbeitet und an die aktuellen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft angepasst werden.
Im Gesetzgebungsverfahren zum SGB XIV hatte der Gesetzgeber auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales die rechtliche Grundlage für die Wiederaufnahme der Kausalitätsbeurteilungen geschaffen. „Mit der Korrektur wird erreicht, dass in der VersMedV auch Beurteilungsmaßstäbe für medizinische Sachverhalte aufgestellt werden können, die bei psychischen Gesundheitsstörungen nach den Erfahrungen in der medizinischen Wissenschaft geeignet sind, einen Ursachenzusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und der gesundheitlichen Schädigung und der Schädigungsfolge zu begründen.“ (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Bundestags-Drucksache 19/14870, Artikel 1 c bb sowie Seite 30).
Zwar hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 5 SGB XIV die oben erwähnte Rechtsprechung vom 12.06.2003 in wesentlichen Teilen in das neue Entschädigungsrecht übernommen. Diese Regelung ist grundsätzlich zu begrüßen. Die so zugunsten des/der Geschädigten geschaffene Vermutungsregelung kann allerdings durch einen anderen Kausalverlauf widerlegt werden. Die in der Rechtsprechung des BSG enthaltene Formulierung, dass es sich hierbei um einen „sicheren“ anderen Kausalverlauf handeln muss, ist jedoch nicht in das Gesetz gekommen.
Diese kritische Bewertung der Vermutungsregelung des § 4 Abs. 5 SGB XIV wird durch Ergänzungen der Versorgungsmedizin-Verordnung Teil C, Ziffern 3.4.4 bis 3.4.6 vom 23.06.2023 (BGBl. I 2023, Nr. 158) verstärkt. Danach hebt bereits das Vorliegen von „Anhaltspunkten“ für einen anderen Kausalverlauf die Vermutungsregelung des § 4 Abs. 5 SGB XIV auf.
Forderung:
- Übernahme der in der Einsatzunfallverordnung aufgeführten psychischen Störungen für die Vermutungsregelung in § 4 SGB XIV, dass insbesondere bei diesen Störungen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zu
vermuten ist. - Ergänzung des § 4 Abs. 5 SGB XIV, dass die Vermutungsregelung nur durch einen anderen, sicheren Kausalverlauf widerlegt werden kann und eine entsprechende Änderung der Regelungen der VersmedV. Aufnahme von Beurteilungsmaßstäben für den Ursachenzusammenhang zwischen Tat und psychischen Folgen.
7. Einrichtung von Clearingstellen
Nach dem Vorbild des Ergänzenden Hilfesystems sollen Clearingstellen geschaffen werden. Ihre Aufgabe ist es, spezielles Fachwissen in den Entscheidungsprozess einzubringen.
Die Clearingstelle ist mit einer Juristin/einem Juristen mit der Befähigung zum Richteramt, einer Psychotherapeutin/einem Psychotherapeuten mit traumatherapeutischer Zusatzausbildung, einer Vertreterin/einem Vertreter der Betroffenen, einer Fachärztin/einem Facharzt eines im vorgelegten Fall maßgeblichen Fachgebiets und einer Vertreterin/einem Vertreter der Verwaltungsbehörde zu besetzen. Sie nehmen diese Aufgabe ehrenamtlich wahr.
Weist ein Antrag besondere Fragestellungen in der Rechts- und/oder Sachlage auf, ist er der Clearingstelle vorzulegen. Die Verwaltungsbehörde übersendet die Unterlagen mit einer Begründung für die vorgesehene Entscheidung an die Clearingstelle. Die Clearingstelle überprüft den Antrag in vollem Umfang und legt ihrem Votum den Beweismaßstab der Plausibilität zugrunde. Sie kann der Verwaltungsbehörde Hinweise für eine weitere Sachaufklärung gemäß § 21 SGB X geben. Die Verwaltungsbehörde hat in ihrer Entscheidung auf das Votum der Clearingstelle einzugehen.
Forderung:
- Einführung einer Clearingstelle zur Beurteilung der Plausibilität des geschilderten Sachverhalts.