Der WEISSE RING setzt sich seit 40 Jahren kontinuierlich für die Verbesserung der Opferrechte ein.
Dadurch konnten wir bereits viel für den Opferschutz und die Rechte der Opfer erreichen. Trotzdem haben wir weitere Verbesserungsvorschläge für einen noch besseren Schutz der Opfer und eine Ausweitung der Opferrechte.
Dies berührt sämtliche Verfahrensabschnitte außerhalb und innerhalb des Strafverfahrens. Wir fordern beispielsweise,
Die Beteiligung von Verbänden in Gesetzgebungsverfahren ist für den Gesetzgeber unentbehrlich, da sie sicherstellt, dass die Interessen von Betroffenen erkannt und berücksichtigt werden. Auch der WEISSE RING als größte Opferhilfsorganisation in Deutschland wird häufig beteiligt und gibt Stellungnahmen zu aktuellen Themen und Gesetzentwürfen ab. Die neuesten Stellungnahmen des WEISSEN RINGS finden Sie hier.
Ein aktuelles Thema: das Akteneinsichtsrecht des Verletzten. Der Vorsitzende des Fachbeirates Strafrecht und Mitglied des Bundesvorstands des WEISSEN RINGS, Prof. Dr. Heinz Schöch, erklärt in einem Fachaufsatz das Akteneinsichtsrecht des Verletzten, wo zurzeit die Probleme in der Praxis liegen – und was das für die Opfer von Straftaten bedeutet.
Unten finden Sie die vollständigen strafrechtspolitischen Forderungen des WEISSEN RINGS.
In regelmäßigen Abständen tagt der Fachbeirat Strafrecht, der sich stetig mit aktueller Rechtsprechung und Gesetzgebungsvorhaben im Hinblick darauf beschäftigt, welche Auswirkungen sie auf Opferrechte oder Opferbedürfnisse haben können. Er ist besetzt mit Fachleuten des strafrechtlichen Fachbereichs aus Justiz, Lehre und Anwaltschaft.
Der WEISSE RING beteiligt sich zudem regelmäßig an Stellungnahmen zu Gesetzgebungsvorhaben, um bereits hier auf die Wahrung oder Verbesserung der Opferrechte hinzuwirken.
Stand November 2019
Im Folgenden online lesen oder hier als PDF herunterladen:
Opfer von Straftaten sind durch das Strafverfahren gegen den Täter häufig besonderen Belastungen ausgesetzt. Sie werden mit dem Tatgeschehen, das sie erlitten haben, erneut konfrontiert. Wenn sie vor Gericht als Zeugen aussagen müssen, begegnen sie in der Regel dem Täter und müssen in vielen Fällen erleben, dass dieser und die Verteidigung ihre Aussage in Zweifel ziehen. Nicht selten wird das mit Angriffen auf die moralische Integrität des Opfers verbunden. Unvertraut mit den Regeln und Abläufen des Strafverfahrens sehen sich Opfer in solchen Situationen, wenn sie nicht kompetente Unterstützung erhalten, ein zweites Mal zum Opfer gemacht („sekundäre Viktimisierung“). Opfer von Gewalt- und Sexualdelikten können eine Verlängerung und Vertiefung des durch die Tat erlittenen Traumas erfahren. Sie laufen Gefahr, in ihrem sozialen Umfeld stigmatisiert und isoliert zu werden.
Schrittweise hat sich im In- und Ausland die Erkenntnis durchgesetzt, dass Opfer von Straftaten im Strafverfahren eines besonderen Schutzes bedürfen und mit Verfahrensrechten ausgestattet werden müssen, die es ihnen ermöglichen, ihre Sicht und ihre Belange im Strafverfahren effektiv zu vertreten. Der WEISSE RING hat sich seit seinem Bestehen (1976) nachdrücklich dafür eingesetzt, einen Bewusstseinswandel zugunsten der Opfer von Kriminalität herbeizuführen und die notwendigen Opferschutzrechte zu schaffen. Viel ist zugunsten der Opferinteressen erreicht worden.
Das Opferschutzgesetz aus dem Jahre 1986, das Zeugenschutzgesetz aus dem Jahre 1998 und das Opferrechtsreformgesetz aus dem Jahre 2004 waren wichtige Schritte auf dem Weg, das Opfer aus der Rolle eines bloßen Beweismittels herauszuführen und ihm die Stellung eines mit eigenen Rechten ausgestatteten Prozessbeteiligten zu verschaffen. Der Persönlichkeitsschutz für das Opfer wurde verbessert. Für bestimmte besonders schwer betroffene Opfer wurde der staatlich bezahlte Opferanwalt eingeführt. Das Adhäsionsverfahren, also die Möglichkeit, bereits im Strafverfahren Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz geltend zu machen, wurde ausgebaut. Die Informations- und Beteiligungsrechte des Opfers im Strafverfahren wurden deutlich gestärkt. Dazu kam das seit 2007 geltende strafrechtliche Stalking-Verbot (§ 238 StGB). Durch das 2. Justizmodernisierungsgesetz von 2006 wurde ein erster Durchbruch für Opferschutz im Jugendstrafverfahren erreicht: Auch in Verfahren gegen Jugendliche ist jetzt für besonders schwere Fälle die Nebenklage zugelassen. Das am 1. Oktober 2009 in Kraft getretene 2. Opferrechtsreformgesetz brachte weitere erhebliche Fortschritte. Die Möglichkeit, dass Opfer ihre Belange im Strafverfahren mit Hilfe der Beteiligungsrechte der Nebenklage wahrnehmen, wurde ausgeweitet, ebenso die Möglichkeit, dafür kostenlose anwaltliche Unterstützung zu erlangen. Auch wurden die Informationsrechte des Opfers noch einmal deutlich gestärkt. Durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) wurden mit Wirkung vom 1. September 2013 neben anderen Verbesserungen die Regelung über die kostenlose Beiordnung eines Opferanwalts (§ 397a StPO) etwas erweitert und ein Recht des Opferzeugen, sich zu den Tatfolgen zu äußern, ausdrücklich anerkannt (§ 69 Abs. 2 StPO). Auch wurden die Bestimmungen über die richterliche Videovernehmung erweitert, um Opferzeugen eine Vernehmung in der Hauptverhandlung möglichst zu ersparen (§ 58 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StPO). Die EU-Opferschutzrichtlinie vom 25.10.2012 war Anlass für das 3. Opferrechtsreformgesetz vom 21.12.2015, in dem vor allem die Informationsrechte des Verletzten erweitert und die psychosoziale Prozessbegleitung für besonders schutzbedürftige Opfer eingeführt wurden. 2017 wurde in § 844 Abs. 3 BGB das Trauerschmerzensgeld für Angehörige getöteter Opfer geschaffen, und die Nachstellung (§ 238 StGB) wurde durch eine Umgestaltung des Tatbestandes und die Herausnahme aus dem Katalog der Privatklagedelikte opferfreundlicher gestaltet.
Trotz dieser Verbesserungen, die zu einem erheblichen Teil Initiativen des WEISSEN RINGS entsprechen, bleiben wichtige Forderungen des WEISSEN RINGS noch offen.
Die Nebenklage ist im deutschen Strafprozessrecht das Rechtsinstitut, das Opfern im Strafprozess Beteiligungsrechte gibt, mit denen sie ihre berechtigten Interessen effektiv wahrnehmen können. Der WEISSE RING setzt sich seit langem für eine Stärkung der Nebenklage ein. Durch das 2. Opferrechtsreformgesetz wurde der Katalog der Nebenklagedelikte erweitert, so um die Tatbestände der Nachstellung (§ 238 StGB), der Zwangsheirat (§ 237 StGB) und der besonders schweren Fälle der Nötigung (§ 240 StGB). Bei weiteren Delikten, so beim Wohnungseinbruch und bei den Straftaten des Raubs und der Erpressung, wurde die Nebenklage zugelassen, wenn dies im Einzelfall aus besonderen Gründen, insbesondere wegen schwerer Folgen der Tat, zur Wahrung der Opferinteressen geboten ist.
Der WEISSE RING appelliert an die Justiz, diese Regelung nicht engherzig, sondern opferfreundlich anzuwenden. Damit es rasch zu einer einheitlichen und befriedigenden Rechtspraxis kommt, spricht er sich dafür aus, gegen ablehnende Entscheidungen den Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde zu eröffnen.
Anders als für den Verteidiger (§ 218 StPO) sieht das Gesetz für den Nebenkläger-vertreter und den Verletztenbeistand eine förmliche Ladung zur Hauptverhandlung nicht vor. Es kam in der Vergangenheit nicht selten vor, dass eine Ladung unterblieb und Opfer als Zeugen ohne die ihnen zugedachte Unterstützung durch den Opferanwalt an der Hauptverhandlung teilnehmen mussten. Seit dem 2. Opferrechtsreformgesetz sieht § 397 Abs. 2 Satz 3 StPO vor, dass der anwaltliche Beistand des Nebenklägers vom Termin der Hauptverhandlung zu benachrichtigen ist. Das ist ein Fortschritt, aber doch nur eine halbe Lösung. Zu fordern ist wie beim Verteidiger eine förmliche Ladung. Zugleich sollte § 398 Abs. 2 StPO dahin geändert werden, dass die Anwesenheit des Opferanwalts jedenfalls in den Fällen des § 397a StPO ebenso notwendig ist wie die des Verteidigers in den Fällen des § 140 StPO. Langfristig muss die Entwicklung dahin gehen, dass der Nebenkläger und sein anwaltlicher Vertreter notwendige Verfahrensbeteiligte sind.
Für viele Verletzte ist es ein wesentliches Element der Tatfolgenbewältigung, in der Hauptverhandlung zum Tatgeschehen und den Folgen Stellung nehmen zu können, auch wenn das Gericht und die anderen Verfahrensbeteiligten dies nicht mehr für erforderlich halten. Obwohl nebenklageberechtigte Verletzte in der Hauptverhandlung das Recht zur Abgabe von Erklärungen haben (§ 257, 258 StPO), wird eine persönliche Erklärung des Nebenklägers zum Tatgeschehen und zu den Tatfolgen oft nicht zugelassen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass das StORMG, einer Forderung des WEISSEN RINGS entsprechend, dem Opferzeugen das gesetzliche Recht gegeben hat, sich zu den Tatfolgen zu äußern (§ 69 Abs. 2, Satz 2 StPO). Dieses Recht haben die anderen Verfahrensbeteiligten zu respektieren, auch wenn sie die Vernehmung des Verletzten als Zeuge nicht mehr für erforderlich halten.
Ohne Unterstützung durch einen Opferanwalt sind Opfer in vielen Fällen nicht in der Lage, ihre Rechte im Strafverfahren gegen den Täter wahrzunehmen. Der WEISSE RING kämpft seit langem für einen angemessenen Zuschnitt der Regelung über den staatlich bezahlten Opferanwalt.
Das 2. Opferrechtsreformgesetz hat den Kreis der Fälle, in denen dem Opfer auf seinen Antrag auf Staatskosten ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, ein wenig ausgeweitet. Der Katalog der Delikte, bei denen dem Opfer auch ohne dass die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe vorliegen auf Antrag ein Anwalt beizuordnen ist, wurde um weitere Delikte erweitert, wenn die Tat im Einzelfall beim Opfer zu schweren körperlichen oder seelischen Schäden geführt hat oder voraussichtlich führen wird (§ 397a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Ob die Praxis mit dieser Regelung zu sachgerechten Ergebnissen kommt, wird man beobachten müssen. Die Schwere der Tatfolgen ist oft erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar. Jedenfalls ist auch hier an die Justiz zu appellieren, bei der Anwendung des neuen Rechts nicht engherzig, sondern opfergerecht zu entscheiden. Die Bestellung eines psychosozialen Prozessbegleiters durch das Gericht bei besonders schutzbedürftigen Verletzten (§ 406g Abs.3 StPO) ist jedenfalls kein Grund, dem Verletzten den Beistand durch einen Rechtsanwalt zu versagen.
In § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO wurde durch das 2. Opferrechtsreformgesetz die Alters-grenze für die Beiordnung eines Rechtsanwalts bei Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und bei Misshandlung von Schutzbefohlenen sowie bei schweren Gewaltdelikten von 16 auf 18 Jahre angehoben. Allerdings stellte das Gesetz dabei auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab, während der WEISSE RING gefordert hatte, auf den Zeitpunkt der Tat abzustellen. Nicht zuletzt die Beratungen des Runden Tisches zur Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs in kirchlichen und anderen Einrichtungen haben deutlich gemacht, dass Kinder und Jugendliche, die Opfer von Misshandlung und sexuellem Missbrauch wurden, häufig erst nach vielen Jahren über die Tat sprechen und diese anzeigen können. Auch in solchen Fällen benötigen sie zur Wahrnehmung ihrer Rechte dringend anwaltlichen Beistand und es liegt im öffentlichen Interesse, ihnen diesen zu gewährleisten. Es ist deshalb zu begrüßen, dass es für die Beiordnung aufgrund des StORMG seit September 2013 bei allen Sexualdelikten (§§ 174 bis 182 StGB) und der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) auf das Alter zum Zeitpunkt der Tat ankommt (§ 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO). Dies sollte aber auch für die anderen Gewaltdelikte gegen Jugendliche gelten, die nunmehr in § 397a Abs. 1 Nr. 5 erfasst sind, da auch bei diesen nicht selten Abhängigkeiten vom sozialen Umfeld vorliegen, die eine sofortige Anzeigeerstattung und damit eine Verfahrensdurchführung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erschweren.
In der Bestimmung über die entsprechende Anwendung der Regelungen über die Prozesskostenhilfe (§ 397a Abs. 2 StPO) stellt das Gesetz nicht mehr auf die „Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage“ ab, die von den Gerichten nur selten bejaht wurde. Geblieben ist es dabei, dass Prozesskostenhilfe nur in Betracht kommt, wenn das Gericht die eigene Interessenwahrnehmung durch das Opfer für nicht möglich oder für unzumutbar hält. Damit wird den Gerichten ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, was in der Praxis immer wieder zu problematischen Entscheidungen geführt hat. Sachgerecht wäre es, auf die „Schwere der Tat und der Tatfolgen“ abzustellen.
Das 2. Justizmodernisierungsgesetz (2006) hat die Nebenklage im Verfahren gegen Jugendliche bei bestimmten Verbrechen unter der Voraussetzung zugelassen, dass das Opfer durch die Tat seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist. Das war ein erster wichtiger Schritt, der aber nicht ausreicht. Der WEISSE RING fordert in Übereinstimmung mit einer Empfehlung des 64. Deutschen Juristentags (2002), die Nebenklage und die Beiordnung eines Opferanwalts in Verfahren gegen Jugendliche im selben Umfang zuzulassen wie gegen Erwachsene. An der Schutzbedürftigkeit des Opfers ändert sich nichts, wenn der Täter Jugendlicher ist. Mit der Erziehungsbedürftigkeit des jugendlichen Täters lässt sich die Schlechterstellung des Opfers nicht rechtfertigen. Auch die Opfer sind im Übrigen nicht selten minderjährig. Die bestehende Schutzlücke zeigt sich nicht zuletzt in den aktuellen Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs und Misshandlung Schutzbefohlener, bei denen nur Vergehenstatbestände zur Verfolgung anstehen.
Das 2. Justizmodernisierungsgesetz hat das Adhäsionsverfahren gegen Heran-wachsende auch in dem Fall zugelassen, dass auf die Tat nach § 105 JGG materielles Jugendstrafrecht angewendet wird. Das war ein Schritt nach vorne. Der WEISSE RING fordert, noch einen Schritt weiter zu gehen und das Adhäsionsverfahren auch gegen jugendliche Täter zuzulassen. Die Konfrontation des Jugendlichen mit dem angerichteten Schaden und der Pflicht zur Wiedergutmachung ist von hohem erzieherischem Wert und steht deshalb mit dem Erziehungsauftrag des Jugend-strafverfahrens in Einklang. Die Beteiligung des gesetzlichen Vertreters ist sicherzustellen.
Forderungen:
Eine ausreichende Information des Opfers über das Strafverfahren gegen den Täter und die Opferrechte in diesem Verfahren sind die Voraussetzung dafür, dass das Opfer seine berechtigten Interessen in diesem Verfahren vertreten kann. Der WEISSE RING setzt sich seit langem für eine ausreichende Information des Opfers ein. Der deutsche Gesetzgeber hat diesem Anliegen, einsetzend mit dem Opferschutzgesetz (1986), zunehmend Beachtung geschenkt und im 2. Opferrechtsreformgesetz (2009) die Informationsrechte gestärkt und konkretisiert. Die EU-Opferschutzrichtlinie vom 25.12.2012 hat dazu geführt, dass im 3. Opferrechtsreformgesetz die Informations-pflichten der am Strafverfahren beteiligten Amtsträger weiter ausgebaut wurden.
Vordringlich ist jetzt die praktische Umsetzung der in den neu gefassten §§ 406d, 406h-k StPO) statuierten Pflicht zu einer möglichst frühzeitigen, regelmäßig schriftlichen und nach Möglichkeit in einer für das Opfer verständlichen Sprache erfolgenden Information des Opfers über seine Befugnisse. Entsprechende Merkblätter in den benötigten Sprachen sind zu erstellen und bereit zu halten.
Allerdings ist auch die neue gesetzliche Regelung noch unzureichend. Die Unter-richtung des Verletzten muss alle in Art. 4 der EU-Richtlinie vom 25.10.2012 aufgelisteten Informationen umfassen. Dazu zählen, über die neuen §§ 406d, 406h-k StPO hinaus, Informationen über das Recht auf Dolmetschleistungen und Über-setzungen und über bestehende Beschwerdemöglichkeiten. Der WEISSE RING wird sich daher für eine weitere Präzisierung einsetzen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass es trotz Bestehens einer gesetzlichen Informations-pflicht immer wieder zu Informationspannen kommt und das Opfer z. B. von seinem Recht zur Nebenklage erst nach Abschluss des Verfahrens erfährt. Werden wegen solchermaßen unterlassener Information Fristen versäumt, sollte nach Auffassung des WEISSEN RINGS die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eröffnet sein. In seiner Entscheidung vom 09.10.2007 (2 BvR 1671 / 07) hat das Bundesverfassungsgericht für eine entsprechende gesetzliche Regelung Sympathie erkennen lassen.
Art. 8 Abs. 2 der EU-Richtlinie vom 25.10.2012 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Vermittlung der Opfer an Opferunterstützungsdienste durch die zuständige Behörde, bei der eine Straftat angezeigt wurde, zu erleichtern. Eine solche Vermittlung wird bisher in Deutschland sehr unterschiedlich, oft überhaupt nicht praktiziert. Das 3. Opferrechtsreformgesetz hat den Vorschlag des WEISSEN RINGS leider nicht aufgegriffen, im Anschluss an die Hinweispflicht der Strafverfolgungsorgane in § 406j Abs. 1 Nr. 5 StPO zu regeln, dass der Verletzte gefragt wird, ob er wünscht, dass seine Anzeige an einen Opferunterstützungsdienst seiner Wahl übermittelt wird, und einem entsprechenden Wunsch entsprochen wird.
Eine Schwachstelle ist in der Praxis auch die Information des Opfers über eine Erledigung des Verfahrens durch Strafbefehl. Eine Klarstellung, dass das Opfer auch über Einleitung und Beendigung eines Strafbefehlsverfahrens zu informieren ist, erscheint notwendig, zumindest durch Verwaltungsvorschrift (RiStBV).
Ein besserer Schutz der Persönlichkeitsrechte des Opfers, insbesondere seiner Intimsphäre, war ein Anliegen schon des Opferschutzgesetzes von 1986 und ist für den WEISSEN RING bis heute eine zentrale Forderung. Auch die EU-Richtlinie von 2012 stellt in ihrem Art. 18 dieses Anliegen heraus. Insgesamt gesehen ist viel geschehen, um das Opfer vor öffentlicher Bloßstellung, vor unliebsamer Konfrontation mit dem Täter und vor wiederholten oder quälenden Befragungen möglichst zu bewahren. Auch die durch das STORMG 2013 erweiterten Möglichkeiten des Öffentlichkeitsausschlusses bei der Vernehmung von jugendlichen Zeugen (171b GVG) haben dazu beigetragen. Doch gibt es immer noch offene Anliegen.
Gegen jugendliche Täter wird nach § 48 JGG ausnahmslos nicht öffentlich verhandelt, im Interesse des Persönlichkeitsschutzes und im Interesse der erstrebten Legalbewährung. Bei jugendlichen Opfern kennt das Gesetz einen vergleichbaren Schutz nicht. Dieses Ungleichgewicht muss beseitigt, jedenfalls gemindert werden. Handelt es sich bei dem Opfer um eine Person unter 18 Jahren, so sollte nach Auffassung des WEISSEN RINGS die Öffentlichkeit ohne weitere Voraussetzungen ausgeschlossen werden, es sei denn, das Opfer widerspricht. Dass nach dem StORMG nunmehr § 171b Abs. 1 Satz 3 GVG, ausdrücklich vorschreibt, dabei die besonderen Belastungen, die sich für kindliche oder jugendliche Opfer aus einer öffentlichen Verhandlung ergeben, abzuwägen, ist ein Schritt nach vorn, ebenso der neugefasste § 171b Abs. 2 GVG, der wenigstens für Sexualdelikte und bestimmte andere schwere Straftaten bei der Vernehmung von Zeugen unter 18 Jahren den Ausschluss der Öffentlichkeit als Sollgebot statuiert.
Erfreulicherweise hat das STORMG den Öffentlichkeitsausschluss auch für die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und der Nebenklage vorgeschrieben, wenn die Verhandlung vorher zum Schutz der Privatsphäre ganz oder teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat (§ 171b Abs. 3 Satz 2 GVG). Allerdings ist es versäumt worden, die Sperrkompetenz der geschützten Person bezüglich des Öffentlichkeitsausschlusses gemäß § 171b Abs. 4 GVG auch auf die Schlussanträge zu erstrecken. In besonderen Fällen können öffentliche Plädoyers aber den Interessen des Verletzten an seiner Rehabilitation in der Öffentlichkeit dienen. Deshalb muss in § 171b Abs. 4 GVG auch auf § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG Bezug genommen werden.
Besonderen Belastungen sind Opfer, insbesondere Opfer von Sexualdelikten vielfach bei ihrer Vernehmung ausgesetzt, wenn sie zu schambesetzten Sachverhalten befragt werden. Auch wenn anzuerkennen ist, dass Justiz und Polizei dabei vielfach sensibel und rücksichtsvoll vorgehen und dem Opfer eine unnötige Bloßstellung ersparen, kommt es doch immer noch vor, dass Opfer über das Unerlässliche hinaus mit Fragen zum höchstpersönlichen Lebensbereich regelrecht gepeinigt werden. § 68 a Abs. 1 StPO, wonach Zeugen Fragen, die ihren oder ihrer Angehörigen persönlichen Lebensbereich betreffen, nur gestellt werden sollen, wenn sie unerlässlich sind, ist zu schwach. Der WEISSE RING fordert die Einführung eines relativen Auskunfts-verweigerungsrechts, wonach Opferzeugen Fragen zum höchstpersönlichen Lebensbereich nicht beantworten müssen, es sei denn, ein Richter hat festgestellt, dass die Fragen zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Täters unerlässlich sind (vgl. § 158 öStPO).
Während der Psychotherapeut, Zeugenbeistand oder Nebenklageanwalt des Opferzeugen über das, was ihm der Zeuge anvertraut hat, gemäß § 53 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist, steht dem Zeugen selbst ein entsprechendes Weigerungsrecht nach herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur nicht zu. Zwar ist es richtig, dass der Opferzeuge umfassend zur Aussage bezüglich aller zur Wahrheitsermittlung erforderlichen Tatsachen verpflichtet ist. Dazu gehören aber nicht notwendig alle Gesprächsinhalte mit dem Berufsgeheimnis-träger (z. B. bezüglich des sexuellen Vorlebens des Opferzeugen oder der Schuldgefühle eines kindlichen oder jugendlichen Opfers nach sexuellem Missbrauch). Derartige Mitteilungen erfolgen oft im Vertrauen auf das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Nr 1 bis 3b StPO genannten Heil- und Beratungsberufe. Der Schutzzweck der Zeugnisverweigerungsrechte aus beruflichen Gründen gebietet es daher, auch dem Geheimnisträger selbst ein Auskunftsverweigerungsrecht bezüglich aller Informationen aus dem Vertrauensverhältnis einzuräumen.
Ein wichtiger Aspekt des Persönlichkeitsschutzes ist auch der Datenschutz. Die in den Ermittlungsakten befindlichen Opferdaten sind unzureichend geschützt. Über die Akteneinsicht durch den Verteidiger können sie vielfach auch zum Täter gelangen und von diesem oder seinem sozialen Umfeld missbraucht werden, u. U. auch für Drohungen oder neue Straftaten. Es gilt Vorkehrungen zu treffen, dass persönliche Daten gefährdeter Opferzeugen nicht an den Straftäter gelangen. Opferzeugen sollten deshalb berechtigt sein, schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung zu verlangen, dass ihre personenbezogenen Daten, insbesondere Angaben über Wohnsitz, Beruf und Arbeitsplatz, in einem Datenschutzheft verwahrt werden, das an Verteidiger und andere Akteneinsichtsberechtigte nur ausgehändigt werden darf, wenn daran ein höherwertiges Interesse als das des Datenschutzes begründet ist. Diese Forderung hat auch der 62. Deutsche Juristentag 1998 erhoben.
Nach derzeitiger Gesetzeslage (§ 409 StPO) wird im Strafbefehl die Anschrift der Zeugen, auch der Opferzeugen, angegeben. Hier sollte die für die Anklageschrift in § 200 Abs. 1 Satz 4 StPO im Interesse des Zeugenschutzes getroffene Regelung übernommen werden.
Die Neufassung des § 68 StPO durch das 2. Opferrechtsreformgesetz hat die Möglichkeit für den Zeugen, persönliche Daten bei seiner Vernehmung nicht aktenkundig zu machen, erweitert. Nach wie vor darf er statt des Wohnortes eine andere ladungsfähige Anschrift aber nur dann angeben, wenn begründeter Anlass zu der Besorgnis besteht, dass andernfalls Rechtsgüter des Zeugen oder einer anderen Person gefährdet werden oder auf ihn oder eine andere Person unlauter eingewirkt wird. Das ist zu eng. Dem berechtigten Interesse etwa eines traumatisierten Opferzeugen, seine Opferrolle auch gegenüber den Medien oder gegenüber seinem sozialen Umfeld geheim zu halten, wird nicht Rechnung getragen. Nach Auffassung des WEISSEN RINGS sollte jedem Zeugen auf Antrag die Möglichkeit gegeben werden, statt der Wohnanschrift eine andere ladungsfähige Anschrift anzugeben.
Noch immer gibt es nicht bei allen Gerichten Zeugenzimmer mit entsprechend geschultem Personal, in denen Opferzeugen vor, während und nach der Haupt-verhandlung vor einer Begegnung mit dem Täter und dessen Umfeld geschützt sind. Sie zu schaffen ist eine dringende Aufgabe, nicht nur im Interesse des Opfer- und Zeugenschutzes, sondern auch im Interesse der Wahrheitsfindung. Die genannte EU‑Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten die Schaffung entsprechender Räume vor.
Urteilsabsprachen im Strafverfahren haben durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren aus dem Jahre 2009 die vom BGH geforderte gesetzliche Grundlage erhalten. Leider fand dabei das Anliegen des WEISSEN RINGS, den Opferinteressen angemessen Rechnung zu tragen, keine Berücksichtigung. Urteilsabsprachen können im Opferinteresse sein, so wenn der Angeklagte ein Geständnis ablegt und dem Opfer damit eine Zeugenvernehmung erspart wird, oder wenn der Täter auf Grund der Absprache Wiedergutmachungsleistungen erbringt. Urteilsabsprachen können aber auch den Opferinteressen zuwiderlaufen, so wenn die gegen das Opfer gerichtete Tat verharmlost und mit einer unangemessen niedrigen Sanktion geahndet oder gar nach § 154 StPO aus dem Verfahren ausgeschieden wird. Deshalb müssen die Opferinteressen beim Zustandekommen der Urteilsabsprache thematisiert werden. Der Nebenkläger muss bei Verständigungsgesprächen beteiligt werden. Für besonders schwere Gewalt- und Sexualdelikte sollte bestimmt werden, dass eine Urteilsabsprache der Zustimmung des Nebenklägers bedarf. Nicht zuletzt im Hinblick auf abgesprochene Urteile hält der WEISSE RING auch eine Erweiterung der Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers (§ 400 StPO) für angezeigt: Wird im Urteil der Rahmen des Schuldangemessenen in einer Weise unterschritten, dass die Strafzumessung nach der Rechtsprechung des BGH als rechtswidrig anzusehen ist, sollte der Nebenkläger dies mit einem Rechtsmittel geltend machen können.
Opportunitätseinstellungen nach den §§ 153 ff. StPO sind ein wichtiges Instrument, um einer Überlastung der Justiz entgegen zu wirken. Für den Beschuldigten sind sie in der Regel vorteilhaft. Für das Opfer können sie dagegen sehr nachteilig sein. Damit kontrastiert, dass Opfer am Zustandekommen der Einstellungen regelmäßig nicht beteiligt sind und dass sie sich gegen erfolgte Opportunitätseinstellungen auch nicht wehren können. Dabei kann es nach Auffassung des WEISSEN RINGS nicht bleiben.
Die Praxiserfahrung zeigt, dass die Justiz von § 154 StPO bei Mehrfachtaten nicht selten auch bei Straftaten Gebrauch macht, die das Opfer erheblich betroffen haben. Vereinzelt kam die Regelung sogar bei Vergewaltigung, Raub oder Wohnungs-einbruchdiebstahl zur Anwendung. Es ist klar, dass die damit verbundene Aussage, bei der an dem Opfer begangenen Tat handle es sich um eine unwesentliche Nebenstraftat, die aus der Sicht der Justiz für die Bestrafung des Täters „nicht beträchtlich ins Gewicht fällt“, für das Opfer ein Schlag ins Gesicht sein kann. Das Gesetz sollte deshalb anordnen, dass die Opferinteressen bei der Entscheidung mit zu berücksichtigen sind. Fälle schwerer Betroffenheit des Opfers sollten nur mit Zustimmung des Opfers nach § 154 StPO behandelt werden dürfen. Ein erster Schritt wäre, wenn in den RiStBV eine Berücksichtigung entgegenstehender Opferinteressen ausdrücklich vorgeschrieben würde.
Auch bei anderen Opportunitätseinstellungen sollten Opferinteressen angemessen berücksichtigt werden, nicht nur aber besonders dann, wenn opferbezogene Auflagen und Weisungen (§ 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 5 StPO) in Betracht kommen. Das sollte im Gesetz ausdrücklich bestimmt werden.
Anders als bei Einstellungen mangels Tatverdachtes nach § 170 StPO ist dem Opfer gegen Opportunitätseinstellungen bisher keine Beschwerdemöglichkeit eröffnet. Dem Opfer sollte das Klageerzwingungsverfahren mit der Maßgabe offen stehen, dass nachgeprüft wird, ob die Opferbelange bei der Einstellung mit berücksichtigt wurden. Damit würde auch der Intention von Art. 11 der EU-Opferschutzrichtlinie von 2012 Rechnung getragen.
Die Regelungen der StPO über den Einsatz der Videotechnik bei Vernehmungen erfüllen den ihnen zugedachten Zweck, belastende Mehrfachvernehmungen für Opferzeugen zu vermeiden, bis heute nur unvollkommen. Von der Möglichkeit, eine frühe richterliche Vernehmung aufzuzeichnen und dem Opfer dadurch weitere Vernehmungen im Verfahren zu ersparen, wird in der Praxis insgesamt gesehen nur verhältnismäßig selten Gebrauch gemacht. Das hat verschiedene Ursachen.
Eine Ursache ist, dass die erforderliche Technik noch nicht überall zur Verfügung steht oder nicht ausreichend beherrscht wird. Immer wieder wird berichtet, dass Richter sich mit dem Einsatz der Videotechnik nicht anfreunden können. Insoweit ist intensive Fortbildung verbunden mit der Bereitstellung anwendungsfreundlicher Technik erforderlich.
Andererseits gibt es auch bei Opferzeugen teilweise Hemmungen und Ängste bei einer Videoaufzeichnung der Vernehmung, denen Rechnung getragen werden muss. Wenn der Zeuge nach entsprechender Aufklärung einer Videoaufzeichnung widerspricht, sollte diese nicht stattfinden dürfen.
Die Rechtsordnung stellte bisher in §§ 58a, 255a StPO den Einsatz der Videotechnik weit gehend ins Ermessen („kann“) der Gerichte. Der WEISSE RING befürwortet in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des 62. Deutschen Juristentages (1998) eine Regelung, wonach es bei besonders schutzbedürftigen Zeugen die Regel ist, dass im Ermittlungsverfahren eine frühe richterliche Vernehmung durchgeführt und aufgezeichnet wird, bei der gemäß § 168c Abs. 2 StPO der Beschuldigte und sein Verteidiger anwesend sein und Fragen an den Zeugen richten können. Es ist aus der Sicht des WEISSEN RINGS zu begrüßen, dass das StORMG dies durch Änderungen bei §§ 58a, 255a StPO jedenfalls für Opferzeugen, die als Kinder oder Jugendliche Opfer geworden sind, durch Formulierung einer Sollvorschrift für die richterliche Vernehmung im Ermittlungsverfahren aufgegriffen hat. Es wird jetzt zu beobachten sein, wie die neue Regelung in der richterlichen Praxis angenommen wird.
Auf jeden Fall ist zu fordern, dass die frühe richterliche Videovernehmung gemäß § 58a Abs. 1 Nr. 1 StPO nicht nur für kindliche und jugendliche Opferzeugen durchgeführt wird, sondern für alle Opfer der in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten, also bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j StGB) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 StGB), bei Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) und bei Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a StGB. Die Beschränkung auf unter 18-jährige Zeugen ist also in § 58a StPO und in §255a Abs. 2 zu streichen. Außerdem ist in § 255a Abs. 2 die obligatorische Vorführung einer Videoaufzeichnung zu regeln, damit die ergänzende persönliche Vernehmung des Zeugen gemäß § 255 Abs. 2 Satz 4 auf seltene Ausnahmefälle beschränkt bleibt.
Das Gesetz lässt in § 247a StPO bei der Video-Simultanübertragung in die Hauptverhandlung nur das Verfahren zu, dass sich der Zeuge an einem anderen Ort aufhält, während der vernehmende Richter im Sitzungssaal verbleibt. Das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren vom 25.04.2013 verlangt eine Ausweitung der Videoübertragung von einem anderen Ort bis spätestens 31.12.2017. Da dieses Modell in Strafsachen bisher nur geringe Akzeptanz findet und nicht wenige Opferzeugen Probleme haben, „in eine Maschine zu sprechen“, sollte das Gesetz mehr Flexibilität zeigen und als Alternativen auch die Übertragung einer kommissarischen Vernehmung durch einen ersuchten Richter in die Hauptverhandlung hinein zulassen, in Verfahren vor der Strafkammer auch die Vernehmung außerhalb des Gerichtssaals durch den Vorsitzenden (Mainzer Modell). Dies hat auch schon der 62. Deutsche Juristentag (1998) empfohlen.
Das Gesetz lässt in § 247a StPO bei der Video-Simultanübertragung in die Hauptverhandlung nur das Verfahren zu, dass sich der Zeuge an einem anderen Ort aufhält, während der vernehmende Richter im Sitzungssaal verbleibt. Das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren vom 25.04.2013 verlangt eine Ausweitung der Videoübertragung von einem anderen Ort bis spätestens 31.12.2017. Da dieses Modell in Strafsachen bisher nur geringe Akzeptanz findet und nicht wenige Opferzeugen Probleme haben, „in eine Maschine zu sprechen“, sollte das Gesetz mehr Flexibilität zeigen und als Alternativen auch die Übertragung einer kommissarischen Vernehmung durch einen ersuchten Richter in die Hauptverhandlung hinein zulassen, in Verfahren vor der Strafkammer auch die Vernehmung außerhalb des Gerichtssaals durch den Vorsitzenden (Mainzer Modell). Dies hat auch schon der 62. Deutsche Juristentag (1998) empfohlen.
Der WEISSE RING setzt sich dafür ein, bei der strafrechtlichen Reaktion gegenüber dem Täter der Wiedergutmachung und der Entschädigung des Opfers größeres Gewicht zu geben. Er befürwortet Regelungen, wonach die Staatskasse punktuell zugunsten von Opfern und Opferhilfeeinrichtungen auf Einnahmen verzichtet; fiskalische Überlegungen müssen im Interesse des Rechtsfriedens zurückstehen.
Der Staat setzt seinen Strafanspruch mit eigens dafür geschaffenen Institutionen – Polizei, Staatsanwaltschaft, Strafgericht – durch. Das Opfer der Straftat verweist er grundsätzlich darauf, seine Schadensersatzansprüche auf eigene Kosten und eigenes Risiko beim Täter durchzusetzen. Das bedeutet zusätzliche Mühen und psychische Belastungen für das Opfer. Unbefriedigend ist es für das Opfer insbesondere zu erleben, dass der Staat im Strafverfahren Geldstrafen festsetzt und im eigenen Interesse vollstreckt, sich aber nicht von Amts wegen um die Beseitigung der Tatfolgen beim Opfer kümmert. Hier ist ein Umdenken erforderlich. Die Strafzwecke – Generalprävention, Spezialprävention, gerechter Schuldausgleich – erfordern nicht, dass dem Täter auferlegte Geldleistungen dem Staat zufließen. Der WEISSE RING schlägt vor, den Katalog der Strafen um eine neue Sanktion „Genugtuung“ zu ergänzen, die nach den Grundsätzen des § 46 StGB zuzumessen und in Tagessätzen zu verhängen ist. Der Erlös ist an das Opfer auszukehren. Die geleistete Genugtuung wird auf den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Opfers angerechnet. An die Stelle einer uneinbringlichen Genugtuung tritt Ersatzfreiheitsstrafe (§ 43 StGB).
Art. 293 EGStGB ist dahin zu ergänzen, dass die Vollstreckungsbehörde dem Verurteilten gestatten kann, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch vollständige Wiedergutmachung des dem Opfer zugefügten Schadens abzuwenden. Die neue Sanktion soll nur zugunsten einer natürlichen Person als Opfer verhängt werden können.
Einen anderen Ansatz verfolgte der im Jahr 2002 in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Sanktionensystems gemachte Vorschlag, 10 % der Einnahmen aus Geldstrafen an Organisationen der Opferhilfe abzuführen. Er wird von der Mehrheit der Länder derzeit noch abgelehnt. Der WEISSE RING hielt und hält diesen Vorschlag, der die unstreitig notwendige Tätigkeit der Opferhilfeeinrichtungen auf eine gesicherte finanzielle Grundlage stellen will, für sachlich gut begründet und kriminalpolitisch sinnvoll.
In ähnliche Richtung zielt ein Vorschlag, für den sich der WEISSE RING bei der Beratung des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung von 2006 vergeblich eingesetzt hat, nämlich der Vorschlag, beschlagnahmte Vermögenswerte, wenn diese von Opfern nicht selbst in Anspruch genommen werden, Opferhilfeeinrichtungen zuzuweisen, statt dass sie der Staatskasse anheimfallen. Dieser Vorschlag wird vom WEISSEN RING weiter verfolgt.
Das Opfer einer Straftat darf hinsichtlich sichergestellter oder beschlagnahmter Beweisgegenstände nicht schlechter stehen als ein zu Unrecht Beschuldigter. Deshalb sollte in der Strafprozessordnung (z. B. in § 94 StPO) klargestellt werden, dass Gegenstände, die dem Verletzten gehören und die im Strafverfahren als Beweismittel beschlagnahmt wurden, unverzüglich herauszugeben sind, sobald sie nicht mehr benötigt werden. Das bestimmt auch Art. 15 der genannten EU-Richtlinie. Für Vermögensschäden, die dem Opfer aus der Beschlagnahme entstehen, ist eine Entschädigung nach den Grundsätzen des § 7 StrEG (Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen) zu gewähren.
Der WEISSE RING setzt sich seit langem für den Ausbau des Adhäsionsverfahrens ein. Eine praktisch bedeutsame Lücke besteht darin, dass nach bisheriger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur die Entschädigung des Opfers im Strafbefehlsverfahren nicht möglich ist. Diese Lücke sollte im Hinblick auf die Forderung, den Verletzten über einen beabsichtigten Strafbefehlsantrag zu informieren (s. oben Ziff. 4), geschlossen und das Adhäsionsverfahren auch im Strafbefehlsverfahren möglich gemacht werden.
§ 132 StPO eröffnet bei Beschuldigten ohne festen Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland die Möglichkeit, eine Sicherheitsleistung für die zu erwartende Geldstrafe und die Verfahrenskosten anzuordnen. Diese auf die Sicherung der Ansprüche des Staates fixierte Regelung sollte auf zu erwartende Auslagen eines Nebenklägers erweitert werden und darüber hinaus auf in einem Adhäsionsverfahren voraussichtlich zuzuerkennende Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche.
Der Täter-Opfer-Ausgleich ist für den Täter in aller Regel vorteilhaft. Er kann auch aus der Sicht des Opfers ein sinnvoller Weg sein, seinen Interessen Rechung zu tragen. Der WEISSE RING ist der Auffassung, dass dies häufiger als bisher geschehen sollte. Wenn weithin Zurückhaltung gegenüber dem Täter-Opfer-Ausgleich zu beobachten ist, kann das damit zu tun haben, dass es an klaren gesetzlichen Regelungen und Qualitätsstandards fehlt. Solche sollten geschaffen werden. Der WEISSE RING hat sich in Kooperation mit den zuständigen Fachverbänden um Regeln und Standards, die den Opferbelangen in fairer Weise Rechung tragen, bemüht. Die bisherige gesetzliche Regelung des Täter-Opfer-Ausgleichs genügt diesen Erfordernissen noch nicht. Die genannte EU-Richtlinie vom 25.10.2012 verpflichtet die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass ein Täter-Opfer-Ausgleich nur bei ausdrücklicher Einwilligung des Opfers durchgeführt wird, die jederzeit widerrufen werden kann; außerdem verlangt sie, dass das Opfer zuvor umfassend und unparteiisch über das Ausgleichsverfahren und dessen möglichen Ausgang aufgeklärt wird (Art. 12 Abs. 1a, b). Das Widerspruchsrecht des Verletzten gemäß § 155a Satz 3 StPO reicht hierfür nicht aus. Auch muss nach Art. 12 Abs. 1c der EU-Richtlinie als Voraussetzung des Täter-Opfer-Ausgleichs bestimmt werden, dass der Straftäter „den zugrunde liegenden Sachverhalt im Wesentlichen zugegeben“ hat.
Nach geltendem Recht gehört, die Verleumdung (§ 187 StGB), also die bewusst wahrheitswidrige Verbreitung unwahrer ehrenrühriger Tatsachen über eine andere Person, zu den Privatklagedelikten gemäß §§ 374 ff. StPO. Sie wird also in der Regel nicht von Amts wegen von der Staatsanwaltschaft verfolgt, wie es bei Offizialdelikten geschieht. Dies ist angesichts der stark zunehmenden Cyberkriminalität, bei der die Techniken des Internets gezielt zur Rufschädigung anderer Menschen eingesetzt werden, nicht mehr sachgerecht. Wer wider besseres Wissen andere in dieser Weise mit weitreichenden Wirkungen schädigt, muss von Amtswegen von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden.
Die Aufgeschlossenheit für die Belange des Opfers, die sich in Gesellschaft und Politik seit den achtziger Jahren zunehmend feststellen lässt, zeigt sich auch bei Justiz und Polizei. Vielfach wird den Opfern dort einfühlsam und respektvoll begegnet. Doch gibt es teilweise auch noch Defizite, denen mit einer intensivierten Aus- und Weiterbildung begegnet werden muss. Nach Art. 25 der EU-Opferschutzrichtlinie vom 25.10.2012 müssen die Mitgliedstaaten durch Schulungsmaßnahmen sicherstellen, dass Amtsträger, die voraussichtlich in Kontakt mit Opfern kommen, ein geschärftes Bewusstsein für die Bedürfnisse der Opfer haben und in der Lage sind, unvoreingenommen, respektvoll und professionell mit ihnen umzugehen. Das sollte in geeigneter Weise gesetzlich verankert werden. Die erforderlichen Haushaltsmittel sind bereit zu stellen.
Eine gewisse Hilfe für das Opfer ist es in manchen Fällen, insbesondere bei Vernehmungen zu schambesetzten Sachverhalten, wenn es durch eine Person gleichen Geschlechts vernommen wird. Bei einem entsprechenden Antrag des Opfers sollte dies, wie auch Art. 23 der EU-Richtlinie vom 25.10.2012 fordert, im Rahmen des Möglichen sichergestellt werden.
Bei der Fahndung nach einem bekannten oder unbekannten Täter können die Strafverfolgungsbehörden Publikationsorgane (z. B. Presse, Rundfunk und Fernsehen) sowie öffentlich zugängliche elektronische Kommunikationsmittel (insbesondere das Internet) nutzen. Die gesetzlichen Regelungen für die Öffentlichkeitsfahndung stellen in weiten Teilen Ausgestaltungen des rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar, die in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) weiter konkretisiert werden. In RiStBV – Anlage B: 1.2 Abs. 5 ist geregelt, dass auf die schutzwürdigen Interessen von Personen, die von einer Straftat betroffen sind, Rücksicht zu nehmen ist. In der Regel wird dies dadurch erreicht, dass die Namen solcher Personen nicht publiziert werden. Sollte die Publizierung eines solchen Namens aus Fahndungszwecken zwingend notwendig sein, so ist vor Beginn der Öffentlichkeitsfahndung mit diesen Personen ins Benehmen zu treten, soweit der Fahndungsweg dadurch nicht gefährdet wird.
Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass insbesondere schwer traumatisierten Opfer nicht ohne Vorbereitung mit einer Öffentlichkeitsfahndung konfrontiert werden, mit der sie nicht mehr gerechnet haben. Daher sollte am Ende dieses Absatzes in die RiStBV aufgenommen werden, dass im Einzelfall eine Vorabunterrichtung des Opfers in geeigneter Form angezeigt sein kann. In Betracht kommt z. B. eine Information des Nebenklagevertreters oder eines Angehörigen oder die persönliche Kontaktaufnahme eines Ermittlungsbeamten mit dem Opfer.
Ohne anwaltliche Unterstützung sind Opfer in vielen Fällen nicht in der Lage, ihre Belange in und außerhalb des Strafverfahrens gegen den Täter zu vertreten. Der WEISSE RING erleichtert den Opfern mit dem Hilfeinstrument des Beratungsschecks den Zugang zur Unterstützung durch einen vom Opfer gewählten Rechtsanwalt. Die Erfahrung zeigt, dass nicht jeder Rechtsanwalt das erforderliche Wissen über die Rechte des Opfers und deren rechtlichen Kontext besitzt. Der WEISSE RING bietet deshalb Seminare für Opferanwälte an. Er begrüßt es, dass sich auch die Rechtsanwaltskammern sich dieser Aufgabe annehmen.
Von einem Opferanwalt muss verlangt werden, dass er das Opfer stets auch auf die Möglichkeiten der §§ 397a, 406g StPO (Beiordnung eines Opferanwalts, Prozess-kostenhilfe) hinweist. Das geschieht, aus welchen Gründen auch immer, teilweise nicht. In das anwaltliche Berufsrecht sollte diesbezüglich eine strikte Verpflichtung aufgenommen werden, die sich ausdrücklich auf die Beiordnung nach § 397a Abs. 1 StPO und auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO, jeweils in Verbindung mit § 406g Abs. 3 StPO bezieht. Ein Opferanwalt muss in der Lage sein, ein Gewaltopfer kompetent beraten und vertreten zu können. Dazu gehört nicht nur die Beratung und Vertretung in der Strafsache selbst, sondern auch in anderen mit der Straftat zusammenhängenden Rechtsfragen etwa nach dem OEG oder dem Gewaltschutzgesetz.
Für die Angehörigen von Mordopfern und von Opfern schwerster vorsätzlicher Verbrechen mit Todesfolge (Schwurgerichtsverfahren gemäß § 74 Abs.2 GVG wie z. B. Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch von Kindern oder Raub mit Todesfolge) sowie für die Opfer versuchter Tötungsdelikte ist es regelmäßig von großer Bedeutung, dass der Täter überführt und verurteilt wird. Die neuen Methoden der DNA-Analyse ermöglichen heute vielfach die Überführung nach sehr langer Zeit, auch in Fällen, in denen der Täter in einem ersten Verfahren mangels entsprechender Erkenntnisse freigesprochen werden musste. In solchen Fällen sollte die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten zugelassen werden; sie sind den Fällen vergleichbar, in denen § 362 StPO schon bisher die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten zulässt. Zumindest sollte dies bei den, in die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer fallenden Straftaten (§ 74 Abs. 2 GVG) geschehen; eine Beschränkung auf Mord und Völkermord, wie in einem früheren Gesetzentwurf des Bundesrats erwogen, wäre zu eng. Verfassungsrechtliche Bedenken wegen des Doppelbestrafungsverbotes (Art. 103 Abs. 3 GG) überzeugen letztlich nicht, da sich das Bundesverfassungsgericht für Grenzkorrekturen dieses Grundsatzes bei „neu auftauchenden Gesichtspunkten, die sich der Prozesswissenschaft und der Rechtsprechung so noch nicht gestellt hatten“ (BVerfGE 56, 22, 34 f.), offen gezeigt hat. Auch das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot stünde einer Anwendung auf weit zurückliegende Fälle nicht entgegen, da Art. 103 Abs. 2 GG für Änderungen des Strafprozessrechts nicht gilt (BVerfGE 24, 33, 55; 25, 269).
Zur Fahndung nach einem unbekannten Täter sollte bei Mord und anderen schwersten Gewaltdelikten am Tatort aufgefundenes Spurenmaterial nicht nur zur Ermittlung des DNA-Identifizierungsmusters und des Geschlechts (so bisher § 81e StPO), sondern auch zur Ermittlung anderer genetischer Erkennungsmerkmale (z.B. Augenfarbe, Haarfarbe, ungefähres Alter) ausgewertet werden dürfen.
Gewaltschutzanordnungen durch die Familiengerichte werden von den Tätern häuslicher Gewalt oder von Stalkern nicht immer befolgt. Kommt es in solchen Fällen zu einer strafrechtlichen Verurteilung nach § 4 Gewaltschutzgesetz oder wegen Nachstellung (§ 238 StGB), so ist dies ein Indiz für eine hochgradige weitere Gefährdung des Opfers. Nicht selten enden solche Verstöße gegen das Näherungsverbot oder andere Gewaltschutzanordnungen in tödlichen Attacken auf das Opfer oder in gefährlichen Körperverletzungen, insbesondere bei früheren Partnern des Opfers. In Spanien hat man gute Erfahrungen mit der elektronischen Überwachung solcher Täter gemacht. Diese ist in Deutschland bisher nur im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68b Abs. 1 Nr. 12 StGB möglich, also erst nach der Entlassung aus der Sicherungs-verwahrung oder einer vollstreckten Freiheitstrafe von mindestens drei Jahren möglich (§ 68b Abs. 1 S.3 Nr. 1 StGB). In Spanien werden strafrechtliche Distanzanordnungen in Echtzeit elektronisch überwacht, sodass jederzeit polizeiliche Maßnahmen der Gefahrenabwehr ergriffen werden können. Deshalb sollte auch im deutschen Strafrecht die Möglichkeit geschaffen werden, eine Verurteilung nach § 4 Gewaltschutzgesetz mit der Weisung zu verbinden, die für eine elektronische Überwachung des Täters erforderlichen technischen Mitteln ständig in betriebs-bereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Diese Weisung könnte - wie bei der Führungsaufsicht – zentral für alle Bundesländer in der „Gemeinsamen Überwachungsstelle für elektronische Fußfesseln“ in Bad Vilbel kontrolliert werden.
Darüber hinaus ist zu erwägen, auch bei gewalttätigen Beziehungstätern, die zu einer Geldstrafe oder zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt werden, eine solche Weisung anzuordnen oder als Nebenstrafe zu verhängen, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter erneut gegen das Opfer gewalttätig wird.
Es gab immer wieder Fälle, in denen schwerer Straftaten Verdächtige nach Ablauf von 6 Monaten gemäß § 121 StPO aus der Untersuchungshaft entlassen werden mussten und im Anschluss daran erneut schwerste Straftaten begingen. Aus Opfersicht ist es unerträglich, wenn ein Gefangener, von dem die alsbaldige Begehung schwerster Straftaten dringend zu befürchten ist, entlassen wird und damit die Möglichkeit erhält, die potenziellen Opfer schwer zu schädigen
Das Gesetz sieht eine Beteiligung des Opfers bei der Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe nicht vor, auch nicht in den Fällen des § 57a StGB. Die öffentliche Diskussion anlässlich der Reststrafenaussetzung bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten RAF-Mitgliedern hat gezeigt, dass bei den betroffenen Hinterbliebenen und Teilen der Öffentlichkeit wenig Verständnis für diese Regelung bestand sowie dafür, dass bei der Entscheidung ausschließlich auf die Gefährlichkeitsprognose abgestellt wurde, ein Opferinteresse wie das Interesse an einer vollständigen Tataufklärung jedoch außer Betracht blieb.
Der WEISSE RING hält es für angezeigt, Opferinteressen wie das an einem kooperativen und tataufklärenden Nachtatverhalten bei der Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigen, so wie das nach § 57a Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 57 Abs. 6 StGB hinsichtlich von Angaben zum Verbleib von Verfallgegenständen schon vorgesehen ist. Auch sollte, jedenfalls in den Fällen des § 57a StGB, ein Anhörungsrecht der Opfer oder deren Hinterbliebenen geschaffen werden.
In den Gesetzen der Bundesländer zum Strafvollzug und zum Jugendstrafvollzug finden sich erfreuliche Ansätze zu einer opferbezogenen Vollzugsgestaltung. Der WEISSE RING setzt sich seit langem dafür ein, dass im Vollzug versucht werden muss, beim Täter Einsicht in das dem Opfer zugefügte Leid zu wecken und seine Bereitschaft zu fördern, sich um eine Wiedergutmachung zu bemühen. Dazu kann in geeigneten Fällen auch die Teilnahme an einem Täter-Opfer-Ausgleich gehören. Nicht wenige Opfer sind bereit, entsprechende Bemühungen des Täters auch noch während des Vollzugs der Strafe zu akzeptieren. Auch wenn der Täter dabei zu materiellen Ausgleichsleistungen nur in geringem Umfang in der Lage ist, kann dadurch jedenfalls die Angst des Opfers vor erneuter Begegnung nach Entlassung des Täters vermindert werden.
Wohnungseinbruchdiebstahl ist eine Straftat, die das Opfer nicht nur materiell schädigt, sondern in vielen Fällen psychisch nachhaltig verletzt. Die Wohnung, deren Unverletzlichkeit Art. 13 des Grundgesetzes schützt, ist für Bürgerinnen und Bürger Mittelpunkt ihres privaten Lebens und ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit. In diesen Schutzraum dringt der Einbrecher ein und bewirkt, auch wenn er keine Beute macht, damit in vielen Fällen eine tiefe und nachhaltige Verunsicherung des Opfers mit erheblichen seelischen wie auch körperlichen Folgeschäden. Es ist verständlich, dass Wohnungseinbruchdiebstahl von der Bevölkerung als ernste Bedrohung wahrgenommen wird, zumal die Fallzahlen steigen und die Aufklärungsquote relativ gering ist. Aktuelle Berichte über die Aktivität ausländischer Einbrecherbanden verstärken das Gefühl der Bedrohung.
Darauf muss mit einem Bündel präventiver Maßnahmen, aber auch mit einer intensivierten Strafverfolgung reagiert werden. Die 2017 vorgenommene Erhöhung des Strafrahmens auf Freiheitsstrafe von einem bis zu 10 Jahren kann nur ein erster Schritt sein. Die Möglichkeiten, entsprechende Straftaten aufzuklären, müssen dringend verbessert werden. Da viele Wohnungseinbrüche, insbesondere die schwereren Fälle, durch organisierte Banden begangen werden, empfiehlt es sich, den Wohnungseinbruchdiebstahl in den Katalog der Straftaten nach § 100a-c StPO aufzunehmen, bei denen eine Überwachung der Telekommunikation, eine Online-Durchsuchung und eine akustische Wohnraumüberwachung zulässig ist. Die 2017 erfolgte Aufnahme in den Katalog der zulässigen Verkehrsdaten-Erhebung (§ 100g Abs. 2 Nr. 1 Buchst. g) reicht für eine effektive Verbrechensaufklärung in diesem Bereich nicht aus.
In den letzten Jahrzehnten gab es verschiedene Gesetzentwürfe, die das Ziel verfolgten, bei Straftaten, die unter dem Einfluss eines Alkohol- und Drogenrausches begangen wurden, eine strafmildernde Berücksichtigung des Rausches im Regelfall auszuschließen oder einzugrenzen. Ein wesentliches Anliegen waren Strafverschärfungen bei dem rechtlich umstrittenen Vollrauschtatbestand (§ 323a StGB), der an die schuldausschließende Wirkung von rauschbedingter Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit gemäß § 20 StGB anknüpft. Überzeugender ist es, diese Regelung für die strafrechtliche Zurechnung einer Straftat bei Rauschtaten neueren gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen.
Es ist nämlich an der Zeit, die strafrechtliche Behandlung von Rauschtaten durch das deutsche Recht zu überdenken. Die weitreichende Milderung der strafrechtlichen Ahndung in Fällen selbstverschuldeter Rauschzustände entspricht nicht mehr dem Rechtsempfinden und dem -Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Es ist eine Neubewertung erforderlich, die in der obergerichtlichen Rechtsprechung bezüglich der Strafmilderung gemäß § 21 StGB (Großer Strafsenat des BGH vom 24. 7. 2017 - GSSt 3/17) schon einen ersten Niederschlag gefunden hat. Die Rechtsvergleichung zeigt, dass viele Rechtsordnungen, z.B. im angelsächsischen Rechtskreis sowie in Schweden und Norwegen, einen selbstverschuldeten Rauschzustand grundsätzlich nicht als Strafmilderungsgrund ansehen. So war es auch in § 15 Abs. 3 StGB-DDR geregelt. Dies ist auch im Vergleich zu den sonst anerkannten schuldausschließenden psychischen Störungen gerechtfertigt, da diese den Täter unverschuldet heimsuchen, während der Alkohol- und Drogenrausch regelmäßig auf einer freiverantwortlichen Entscheidung des Täters beruht.