Ein Begleithund gegen das Trauma
Eine glückliche Kindheit hatte Monica Gomes ganz sicher nicht. Im Gegenteil. Sie muss für sie die Hölle gewesen ein. Die heute 43 Jahre alte Frau wurde ihrer Kindheit und Jugend beraubt – von ihren eigenen Eltern.
„Ich wurde gequält, eingesperrt und körperlich misshandelt“, sagt Gomes, die im Norden Bayerns in Haßfurt lebt. Ab ihrem siebten Lebensjahr kann sie sich bewusst an die Qualen erinnern, von diesem Moment an sollte ihr Martyrium noch weitere zehn Jahre dauern. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr bestimmten ihre Eltern ihren gesamten Tagesablauf. Sie wurde eingesperrt, musste stundenlang sitzen bleiben, hatte keine Privatsphäre, musste sich von bestimmten Bekannten anfassen lassen, erlebte ständig psychischen Druck, der zu Depressionen und schließlich zu einer Agoraphobie führte.
Agoraphobie, das sind das Gefühl von purer Ausweglosigkeit aus einem eingesperrten Leben und gravierende Situationsängste im Alltag. Betroffene wie Gomes erleben Ängste vor Orten und Situationen, in denen sie befürchten, keinen Ausweg oder Hilfe zu bekommen. 16 längere Klinikaufenthalte hat die Haßfurterin seit 2007 hinter sich bringen müssen, erlebte, wie sie es selbst nennt, „einen Tanz der Gefühle.“ Erst 2007 erkannte man ihre Krankheit. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits in Angststarre und Dissoziation verfallen. Die Folgen davon: das teilweise bis vollständige Auseinanderfallen von psychischen Funktionen, die normalerweise zusammenhängen. „Als Kind dachte ich, das müsse so sein, ich musste viel Weinen und empfand da als normal“, erläutert Gomes. „Mir war damals überhaupt nicht klar warum manche Kinder fröhlich lachten, ich hingegen nur betrübt war und oftmals weinte.“ In ihrer Schulzeit wandte sie sich an den Vertrauenslehrer ihrer Schule und an das Jugendamt. „Man glaubte mir nicht, ich war hilflos und ganz allein auf mich gestellt“, sagt die 43-Jährige.
Trotz aller widrigen Umstände machte Gomes ihren Weg - zunächst. Sie legte das Abitur ab, studierte Architektur. „Zwei Jahre konnte ich in Vollzeit meinen Beruf ausführen, aber dann schränkten mich meine Ängste derart ein, dass ich meine Arbeit aufgeben musste.“ Auch an dem Versuch, ihren Beruf wenigstens in Teilzeit auszuüben, scheiterte sie. „Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie ich überhaupt das Studium durchstand“, rätselt Gomes.
Ihre spätere Ehe scheiterte an ihrer Krankheit. Vor etwa zehn Jahren lernte Monica ihren jetzigen Lebenspartner kennen. In einem ihrer Klinikaufenthalte kam sie mit Hunden in Berührung und merkte, dass ihr dieser Kontakt gut tat. „Mit einem Hund in meiner Nähe fühlte ich mich freier“, sagt Gomes, und mit dem Tier an ihrer Seite war sie auch Menschen gleich zugänglicher. „Meine damalige Therapeutin riet mir, einen Begleithund anzuschaffen“, erinnert sich Gomes. Tyson hieß der große zwölfjährige Hund aus dem Tierheim Bamberg, ein Mix aus Malamut und altdeutschen Schäferhund, der bei ihr und ihrem Lebenspartner einzog. Das war für sie ein Schlüsselerlebnis, Tyson tat ihr gut, aber er starb schon nach sieben Monaten an einer Krankheit.
Im folgenden Verlauf ihrer Leidenszeit las sich Gomes ein, vertiefte ihr Wissen in Sachen Begleithunde. Aber die Ausbildung eines Vierbeiners zum Begleithund ist äußerst kostenintensiv - und war damit für Gomes nicht finanzierbar. Ihre Therapeutin riet ihr in dieser Phase, sich an den WEISSEN RING zu wenden. „Das fiel mir nicht leicht. Aber ich habe den Schritt gewagt und mit Helmut Will, dem Außenstellenleiter des WEISSEN RINGS im Landkreis Haßberge telefoniert“, erinnert sich Gomes. „Und schon nach einem kurzen Erstkontakt versprach er mir, meinen Fall zwei seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter zu überantworten.“
"Als Kind dachte ich, das müsse so sein, ich musste viel weinen und empfand das als normal."
Im August 2018 kam es dann zu einem ersten Gespräch mit den Barbara und Jürgen Hertrampf. „Es war ein gutes Gespräch. Und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich gleich das Gefühl, da hört mir jemand zu, ich werde verstanden. Das hat mir wahnsinnig gutgetan.“ Barbara und Jürgen Hertrampf nahmen sich ihrer Sache an, machten sich schlau über Begleithunde, sprachen mit ihrem Außenstellenleiter, telefonierten mit den zuständigen Stellen in der Bundesgeschäftsstelle des WEISSEN RINGS in Mainz. „Auch Frau Gomes zeigte sich als Kämpferin, nahm mit Behörden wie etwa dem Bezirk Unterfranken Kontakt auf, um nach Finanzierungsmöglichkeiten für einen Begleithund zu suchen“, schildert Barbara Hertrampf.
Der gemeinsame Kampf von Gomes und den Hertrampfs um tierische Unterstützung sollte sich schnell lohnen: Bereits einen Monat, nachdem Gomes die Unterstützung der Opferhilfeorganisation gesucht hatte stand fest, dass der WEISSE RING den Großteil der Kosten für Anschaffung und Ausbildung eines Begleithundes vorfinanzieren würde, und auch der Bezirk Unterfranken beteiligte sich daran. „Als mir Bärbel und Jürgen Hertrampf das mitteilten, konnte ich es gar nicht glauben“, sagt Gomes. „So etwas bestätigt mir und meiner Frau, dass unsere ehrenamtliche Arbeit beim WEISSEN RING wichtig ist“, sagt und Jürgen Hertrampf.
Es hat noch einige Zeit gedauert, bis Königspudeldame Kimi mithilfe eines Hundetrainers voll einsatzfähig war, ein wenig Geduld musste Gomes also noch aufbringen. Doch schon jetzt scheint sich abzuzeichnen, dass ihr Schicksal eine entscheidende Wende genommen haben könnte. Mit ihrem vierbeinigen Begleiter an ihrer Seite traut sie sich nun wieder, allein vor die Wohnungstür zu gehen – nach acht Monaten, in denen sie dazu die Kraft nicht aufbringen konnte und stets von ihrem Lebenspartner begleitet werden musste. „Ich bin überglücklich, weil ich sicher bin, dass ich mit dem Tier wieder ein selbstbestimmteres Leben führen kann“, stellt Gomes eine Prognose. Und Kiki wird ihr dabei als gehorsame, verlässliche und aufmerksame Begleiterin zur Seite stehen. „Für diese Entwicklung bin ich unendlich dankbar“, sagt Gomes.