Wissenswertes für Fachleute im Bereich Kriminalprävention
Kriminalprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Polizei, Verwaltung, Kinder- und Jugendhilfe und andere Akteure müssen zusammenarbeiten, um für alle das Risiko zu senken, Opfer von Kriminalität zu werden.
Prävention ist neben der Opferhilfe und dem öffentlichen Eintreten für Opferbelange eines der zentralen Satzungsziele des WEISSEN RINGS, der dabei wie keine andere Institution die Perspektive der Opferhilfe und des Opferschutzes einbringt.
In regelmäßigen Abständen tagt der Fachbeirat Kriminalprävention, der über Initiativen und Kampagnen zur Förderung des Präventionsgedankens und über Kooperationen mit anderen Organisationen zu diesem Zweck berät. Zudem beschäftigt er sich mit der Rechtslage im Hinblick auf die Kriminalprävention. Er ist besetzt mit Fachleuten aus Polizei, Justiz und Wissenschaft.
Im Bereich „Prävention“ dieser Website finden Sie Informationen zu derzeit aktuellen Projekten und Kooperationen.
Kriminalpräventionspolitische Forderungen
Stand: Februar 2020
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Ein Leben in Sicherheit – frei von Gewalt, Verletzung und mutwilliger Schädigung durch andere – gehört zu den Grundbedürfnissen der Menschen. Es ist zentraler Bestandteil ihrer Lebensqualität. Opfer von Gewalt oder anderem kriminellen Unrecht zu werden, kann Sicherheit und Selbstwertgefühl eines Menschen nachhaltig erschüttern und in seinen Folgen Lebensgrundlagen entziehen. Dem gilt es, bereits im Vorfeld durch Maßnahmen der Kriminalprävention entgegenzuwirken. Kriminalprävention ist der beste Opferschutz.
Kriminalprävention umfasst die Gesamtheit aller staatlichen und nichtstaatlichen Programme und Maßnahmen, die vorrangig darauf gerichtet sind, Kriminalität sowohl als gesamtgesellschaftliches Phänomen wie auch als individuelle Erfahrung zu verhindern, zu mindern oder in ihren Folgen gering zu halten. Kriminalprävention ist damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle staatlichen Behörden und Organisationen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, die Kirchen, alle zivilgesellschaftlichen Institutionen und Einrichtungen sowie Verbände, Vereine, gesellschaftliche Gruppierungen und Akteure einbindet und fordert.
Für den WEISSEN RING als die bundesweit tätige Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Angehörigen ist Kriminalprävention neben der Opferhilfe und dem öffentlichen Eintreten für Opferbelange ein zentrales Satzungsziel. Opferbezogene Kriminalprävention bedeutet, dass die Belange des Opfers spezifisch berücksichtigt werden.
Wichtige Zielgruppen für den WEISSEN RING sind insbesondere Opfer von Gewalt, z. B. von Kindesmisshandlung und -missbrauch, häuslicher Gewalt sowie im Kontext von Pflege.
1. Opferbezogene Kriminalprävention als Aufgabe des WEISSEN RINGS
Der WEISSE RING hilft Kriminalitätsopfern und ihren Angehörigen bei der Bewältigung ihrer oft sehr schwierigen Lage. Die rund 2.900 ehrenamtlichen Helfer:innen des Vereins kümmern sich um Menschen, die Opfer einer vorsätzlichen Straftat geworden sind, außerdem auch um die vielen anderen, die davon mittelbar betroffen sind. Die Helfer:innen sind hierfür besonders geschult und leisten immateriellen Beistand und materielle Hilfe. Ihre Arbeit wird getragen von den rund 45.000 Mitgliedern des Vereins und den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die den WEISSEN RING moralisch, politisch und finanziell unterstützen.
Die Mitarbeiter:innen des WEISSEN RINGS erfahren in der Unterstützung und Betreuung von Kriminalitätsopfern und ihren Angehörigen unmittelbar, welche Auswirkungen Gewalt und Kriminalität für die Opfer haben. Viele Folgen von Straftaten sind für Betroffene und ihre Angehörigen irreparabel. Die Menschen wollen nicht Opfer werden – und schon gar nicht ein zweites Mal. Sie wollen zutreffend unterrichtet werden über das Risiko, Opfer zu werden, und sie wollen wissen, wie sie sich vor Straftaten schützen können.
In der Opferarbeit erleben die Mitarbeiter:innen des WEISSEN RINGS, wie Kriminalitätsopfer empfinden und leiden und wie andere mit ihnen umgehen. Daraus schöpft der WEISSE RING ein Erfahrungswissen, das er insbesondere für eine opferorientierte Kriminalprävention nutzt. Im Mittelpunkt kriminalpräventiver Maßnahmen und Projekte des WEISSEN RINGS steht daher das Opfer: Maßnahmen der opferbezogenen Kriminalprävention zielen darauf ab, dass Menschen nicht oder nicht wieder zu Opfern von Kriminalität werden und sie im Falle einer gegen sie gerichteten Straftat vor weiterer Schädigung im polizeilichen und justiziellen Strafverfahren oder durch das soziale Umfeld bewahrt werden.
So geben Mitarbeiter:innen des WEISSEN RINGS z. B. bereits im Rahmen der Opferberatung und -betreuung nach einer Straftat deliktsspezifische Präventionstipps und Verhaltenshinweise zur Vermeidung erneuten Opferwerdens. Sie tragen dazu bei, Kriminalitätsfurcht abzubauen und das Sicherheitsgefühl der Betroffenen zu stärken. In Informationsveranstaltungen und Vorträgen informieren sie oft im Zusammenwirken mit Netzwerkpartnern über ausgewählte Kriminalitätsphänomene und die Perspektive der Opfer. Sie fördern die Netzwerkarbeit auf örtlicher und überörtlicher Ebene, initiieren Präventionsprojekte in Kooperation mit Netzwerkpartnern und wirken an Projekten und Maßnahmen z. B. kommunaler und schulischer Kriminalprävention mit.
Der WEISSE RING kann wie keine andere Einrichtung Erkenntnisse, Ideen und Forderungen aus Opferhilfe und Opferschutz in die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Kriminalprävention einbringen. Opferbezogene Kriminalprävention ist Ausdruck der Solidarität mit den Opfern.
Auf der Basis dieser Expertise des WEISSEN RINGS werden im Folgenden Forderungen formuliert, die alle Akteure der Kriminalprävention betreffen.
2. Rahmenbedingungen evidenzbasierter Kriminalprävention
Eine wirksame Kriminalprävention kann nur gelingen, wenn im Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft grundlegende Rahmenbedingungen geschaffen sind. Dazu bedarf es weiterer Anstrengungen.
So erfordert die Entwicklung wirksamer Konzepte zur Kriminalprävention eine regelmäßige Bestandsaufnahme der Kriminalitätslage und der damit zusammenhängenden Problemstellungen. Diese muss über eine bloße Analyse der Kriminalstatistik und der Strafverfolgungsstatistiken hinaus Ergebnisse der Dunkelfeldforschung einbeziehen, mit sonstigen wissenschaftlichen Befunden über Kriminalität und deren Prävention verknüpfen und Folgerungen ableiten. Mit einem unter wissenschaftlicher Beteiligung erstellten „Ersten periodischen Sicherheitsbericht“ (1. PSB) zu Kriminalitätslage und Kriminalitätsbekämpfung hat die Bundesregierung im Jahr 2001 erstmals eine derartige Grundlagenarbeit vorgelegt. Seit einem 2006 mit gleichem Anspruch erstellten „Zweiten periodischen Sicherheitsbericht“ (2. PSB) fehlt es an einer regelmäßigen Fortschreibung wissenschaftlicher Untersuchungen zur Kriminalitätslage und Kriminalitätsbekämpfung sowie einer nach wissenschaftlichen Erkenntnissen verbesserten Struktur von Kriminalstatistiken (z. B. Verlaufsstatistiken).
In der Dunkelfeldforschung bedarf es auf nationaler und Länderebene – möglichst zugleich europäisch abgestimmt – periodisch wiederkehrender, repräsentativer Bevölkerungs- bzw. Opferbefragungen, die die Opferperspektive in den Mittelpunkt stellen und eine Langzeitbetrachtung ermöglichen. Anders als in anderen europäischen Ländern ist in der Bundesrepublik dazu nach ersten repräsentativen Opferbefragungen auf Ebene einiger Bundesländer mit dem „Deutschen Viktimisierungssurvey“ des Bundeskriminalamtes in den Jahren 2012 und 2017 allenfalls ein Anfang gemacht. Nunmehr soll ab 2020 im zweijährigen Rhythmus mit der Befragung „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland (SKiD)“ eine bundesweit einheitliche Dunkelfeldbefragung realisiert werden, die auch auf Ebene der Bundesländer genutzt werden kann. Sie wird zumindest perspektivisch eine Langzeitbetrachtung ermöglichen.
Um eine evidenzbasierte Kriminalprävention zu erreichen, bedarf es ferner einer kontinuierlichen wissenschaftlichen Forschung zu Erscheinungsformen und Ursachen von Kriminalität sowie zu Bekämpfungs- und Präventionsansätzen. Präventionskonzepte, -projekte und -programme müssen durch geeignete, wissenschaftlich fundierte Evaluationsmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit überprüft und ggf. angepasst werden. Notwendig ist ebenfalls ein verstetigter Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Präventionspraxis.
Nicht zuletzt erfordert die Fortentwicklung und Umsetzung kriminalpräventiver Maßnahmen, Projekte und Programme auf nationaler und Landesebene eine langfristig angelegte Vernetzung und Kooperation vieler staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure. Dies erfordert geeignete Organisations- und Zusammenarbeitsstrukturen mit Koordinations- und Beratungskompetenzen sowie den dauerhaften Einsatz ausreichender Ressourcen. Dabei setzt die kriminalpräventive Arbeit eine weitgehende fachliche Unabhängigkeit voraus. Wegen der zwingend gebotenen Einbindung von Behörden und Institutionen aus vielen politischen Handlungsfeldern empfiehlt sich eine ressortübergreifende Anbindung.
An einem für Belange der Kriminalprävention auf Bundesebene verantwortlichen Kompetenzzentrum mit Koordinationsaufgaben in ressortübergreifender Anbindung fehlt es bislang. Dies gilt auch für die in den meisten Ländern eingerichteten Landespräventionsräte oder vergleichbaren Gremien.
Nach alledem kommt es darauf an, dass die Bundesregierung und die Landesregierungen ressortübergreifend Verantwortung dafür übernehmen, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu gestalten, damit Prävention in ihrem Verantwortungsbereich gelingt.
Forderungen
- Weiterführung der Periodischen Sicherheitsberichte der Bundesregierung
- Sicherstellung periodischer Dunkelfeldbefragungen zu Kriminalitätsentwicklung, Kriminalitätsfurcht, Viktimisierung und Opfererwartungen auf nationaler und Länderebene, soweit möglich abgestimmt mit europäischen Befragungen
- Intensivierung der wissenschaftlichen Forschung zu Fragen der Kriminalprävention, insbesondere zur Wirksamkeit kriminalpräventiver Maßnahmen
- Einrichtung eines ressortübergreifenden Kompetenzzentrums auf Bundesebene mit Koordinationsaufgaben als Bindeglied zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft
3. Kriminalpräventionspolitische Forderungen an die Polizei
In allen Polizeigesetzen der Bundesländer ist die Gefahrenabwehr und damit die Kriminalprävention integraler Bestandteil des polizeilichen Auftrags. In den Polizeigesetzen wird diese Kernaufgabe allerdings nach wie vor unterschiedlich formuliert. In einzelnen Bundesländern wird die Aufgabe der Kriminalprävention ausdrücklich erwähnt, während dies in anderen Polizeigesetzen nicht der Fall ist; dort muss die polizeiliche Aufgabe der Kriminalprävention aus dem Ziel der Gefahrenabwehr abgeleitet werden. Die explizite Aufnahme der Kriminalprävention in eine Regelung mit Gesetzescharakter erscheint geboten, auch um der Meinung entgegenzuwirken, Kriminalprävention sei innerhalb des polizeilichen Aufgabenspektrums eine Aufgabe nachrangiger Bedeutung.
Da die Polizei als „Seismograph der Gesellschaft“ zuerst und in vorderster Linie mit aktuellen Entwicklungen befasst ist, kommt ihr gerade auf kommunaler und regionaler Ebene als Impulsgeber und Initiator kriminalpräventiver Projekte und Maßnahmen eine zentrale Rolle zu. Dennoch wird in der polizeilichen Praxis die Kriminalprävention nach wie vor unterschiedlich gewichtet, sowohl in Bezug auf das Selbstverständnis der Polizei als auch hinsichtlich der aufgewendeten Ressourcen. Dies spiegelt sich zudem in der organisatorischen Anbindung der Kriminalprävention wider. Die Eingliederung der Prävention als Teilaufgabe in andere Arbeitsbereiche birgt die Gefahr einer nachrangigen Wahrnehmung dieser zentralen Aufgabe. Kriminalprävention muss „Chefsache“ bleiben!
Die Mitarbeit in Gremien und Netzwerken sowie die in der Kriminalprävention relevante, sich ständig wandelnde Themenvielfalt und erforderliche Wissenstiefe ist ohne hauptamtliche Präventionsbeamt:innen nicht nachhaltig und effizient zu gewährleisten. Erforderlich sind zudem eine ständige und zielgerichtete Aus- und Fortbildung sowie die Teilnahme an relevanten Veranstaltungen.
Opferorientierte Kriminalprävention und Opferschutz sind Aufgabe einer jeden Polizeibeamtin und eines jeden Polizeibeamten. Die Aufgabe bedarf in den Präventionsdienststellen einer besonderen Akzentuierung. Professioneller und effektiver Opferschutz durch besonders geschulte Opferschutzbeauftragte gewährleistet bereits zu einem frühen Zeitpunkt, neben der Sicherung des Strafverfahrens, die Vermittlung zielgerichteter Hilfs- und Unterstützungsleistungen, um das Leid von Kriminalitätsopfern zu mindern sowie eine Sekundärviktimisierung zu verhindern.
Forderungen
- Ausdrückliche Benennung der Kriminalprävention als polizeiliche Aufgabe in den Polizeigesetzen der Länder und des Bundes
- Anbindung der für die Kriminalprävention zuständigen Organisationseinheiten an die Dienststellenleitungen sowie eine spürbare Stärkung dieses Aufgabenbereichs
- Wahrnehmung von Präventionsaufgaben durch Polizeibedienstete im Hauptamt und dauerhafte Bereitstellung der für Aus- und Fortbildung sowie Netzwerkarbeit erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen
- Flächendeckender Einsatz von hauptamtlichen Opferschutzbeauftragten in allen Polizeidienststellen
4. Kriminalpräventionspolitische Forderungen an die Strafjustiz
Bei vielen Opfern von Straftaten, namentlich bei Opfern von Sexual- und Gewaltkriminalität sowie bei kindlichen Opfern kann das Strafverfahren zu einer sekundären Viktimisierung beitragen. Unter „sekundärer Viktimisierung“ versteht man alle Maßnahmen und Ereignisse, die zu einer zusätzlichen Schädigung des Opfers nach der Straftat oder zu einer Festschreibung seiner Opferrolle führen. So werden nicht selten – insbesondere bei konfrontativen Verteidigungsstrategien – Opfer als Zeugen nach persönlichem Lebensbereich, Krankheiten und Sexualleben befragt ohne erkennbaren Zusammenhang mit der zu verhandelnden Tat. Hinzu kommen manchmal Angriffe auf die moralische Integrität des Opfers. Manche Opfer klagen darüber, dass sie mit ihrer Sicht der Tat und Tatfolgen nicht zu Wort gekommen und ihre Verletzungen nicht angemessen gewürdigt worden seien. Hinzu kommen Schädigungen des Opfers dadurch, dass Hauptverhandlungen erst lange nach der Tat und mitunter unsensibel durchgeführt werden. Zudem bleiben Chancen in der Hauptverhandlung ungenutzt, nicht, nur verdeckt oder jedenfalls nicht wiederholt zum selben Verfahrensgegenstand vernommen zu werden. Zu wenig werden überdies Opferbelange im Strafvollzug und im Verfahren zu vorzeitiger Entlassung derjenigen berücksichtigt, die das Opfer geschädigt haben.
Auch wenn Ursachen und Auswirkungen der sekundären Viktimisierung wissenschaftlich noch nicht vollauf geklärt sind, gehören entsprechende Erfahrungen zum Alltagswissen der Opferhelfer:innen des WEISSEN RINGS. Außerdem werden sie durch Erkenntnisse aus Intensivinterviews und systematischen Opferbefragungen belegt. Untersuchungen zu Auswirkungen der Opferschutzgesetzgebung sowie zu Umsetzungsdefiziten in der Praxis und geeigneten Gegenmaßnahmen sind dringend notwendig. Solche Untersuchungen sollten auch von den Justizverwaltungen unterstützt werden.
Allerdings hat sich die Opferschutzgesetzgebung seit 1986 – nicht zuletzt aufgrund von Forderungen des WEISSEN RINGS – deutlich ausgeweitet und verbessert. Viele der nachteiligen Wirkungen können rechtlich und tatsächlich vermieden oder gemindert werden. Aber es verbleiben Opferbedürfnisse, denen noch nicht hinreichend entsprochen wird.
Der WEISSE RING sieht es im Interesse der Vermeidung sekundärer Viktimisierung als hilfreich an, insbesondere die Möglichkeiten zu verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen, zur Videovernehmung und zur Vermeidung von Mehrfachvernehmungen sowie die weiteren Anregungen aus den Thesen aus der Studie „Belastung von Opfern im Ermittlungsverfahren“ auszuschöpfen. Wegen vieler weiterer Anliegen zu einem umfassenden Opferschutz im Strafverfahren wird auf die strafrechtspolitischen Forderungen des WEISSEN RINGS verwiesen.
Forderungen
- Nutzung der Möglichkeiten verfahrensbeschleunigender Maßnahmen
- Evaluation der Opferschutzgesetze
- Nutzung der Videovernehmung und Vermeidung von Mehrfachvernehmungen
5. Kriminalpräventionspolitische Forderungen an die Kommunen
In vielen Kommunen wird bereits die Idee der kommunalen Kriminalprävention gelebt und erfolgreich umgesetzt. Dieser sozialraumorientierte Ansatz fußt auf der Überlegung, dass Kriminalität dort begegnet werden muss, wo sie entsteht. Ein hohes Maß an Sicherheit und geringe Kriminalitätsraten in einer Kommune sind nicht nur für die Wohnbevölkerung, deren Lebensqualität und deren Sicherheitsgefühl von hoher Bedeutung, sondern stellen auch einen standortrelevanten Wirtschaftsfaktor dar.
Der WEISSE RING fordert, dass die Schaffung von vernetzten kommunalen kriminalpräventiven Strukturen unter Leitung der lokalen und/oder regionalen Verantwortlichen zum Standard wird. Die Gemeindeordnungen der Länder bieten die Möglichkeit, um solche Strukturen oder zumindest deren Rahmenbedingungen verbindlich vorzugeben. Kriminalprävention auf kommunaler Ebene erfordert die Kooperation vieler Ressorts wie des Amtes für öffentliche Ordnung und anderer Einrichtungen der Stadtverwaltungen, von Polizei, Justiz, Jugendhilfe, bildungs- und sozialpolitischen sowie zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, Medien, Wirtschaft und Politik. Eine Vernetzung dieser Einrichtungen ist die notwendige Grundlage für eine erfolgversprechende Kriminalprävention. Kommunale Kriminalprävention ist Teil der Daseinsvorsorge sowie eines sozialen Gemeinwesens und damit kommunale Aufgabe.
Der Erfolg von kommunaler Kriminalprävention ist abhängig von der Qualifikation der Akteure. Deshalb sollte das Thema „Kommunale Kriminalprävention“ in den Curricula der relevanten Berufe berücksichtigt und das Fort- und Weiterbildungsangebot erweitert werden.
Um die kommunale Kriminalprävention zielorientiert zu gestalten, sind regelmäßige regionale Analysen zur Kriminalitätslage und zum Sicherheitsgefühl erforderlich. Für die Planung und strukturierte Umsetzung von Projekten sollten Standards zur Qualitätssicherung kriminalpräventiver Projekte herangezogen werden, wie z. B. die Beccaria-Standards (www.beccaria.de).
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, die für die kommunale Kriminalprävention von Bedeutung sind, aber von der Praxis kaum wahrgenommen werden. Zudem genügen die von Kommunen selbst durchgeführten Evaluationen von Präventionsprojekten zum Teil nicht wissenschaftlichen Standards. Erforderlich ist eine Servicestelle für Anwender, die als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis fungiert, bei der Durchführung sowie Evaluation von Projekten beratend zur Seite steht und Grundlagenwissen zu Standards der Kriminalprävention zur Verfügung stellt.
Kriminalität und Kriminalitätsfurcht entstehen zwar auf lokaler Ebene, die Ursachen davon sind jedoch auch überregional verortet. Deshalb sind auch überregionale Organisationen auf den Ebenen der Bundesländer, Deutschlands und Europas erforderlich, die mit der kommunalen Ebene vernetzt sind. Solche Organisationen gibt es bereits, jedoch nicht flächendeckend – und die Vernetzung zur kommunalen Ebene gelingt nicht immer.
Forderungen
- Schaffung von kommunalen vernetzten Strukturen der Kriminalprävention unter der Leitung der lokalen/ regionalen Verantwortlichen als Standard
- Regelmäßige Durchführung regionaler Analysen zur Kriminalitätslage und des Sicherheitsgefühls
- Einführung von Standards zur Qualitätssicherung für kriminalpräventive Projekte
- Schaffung einer Servicestelle für Kommunen, die als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis bei der Durchführung sowie Evaluation von Projekten beratend zur Seite steht
- Vernetzung von überregionalen und kommunalen Präventionszentren
6. Kriminalpräventionspolitische Forderungen an die Schule
Die Schule ist neben der Familie und den Peer-Gruppen eine der zentralen Sozialisationsinstanzen und trägt dazu bei, dass sich die Schüler:innen fachliche und soziale Kompetenzen aneignen und ihre Persönlichkeit umfassend entwickeln können. Ein problematisches Klassenklima, mangelnde individuelle Zuwendung zum einzelnen Lernenden verbunden mit einer auf Auslese und Konkurrenz geprägten Lernkultur können neben Defiziten familiärer Erziehung und negativer Einflüsse der Gleichaltrigen-Gruppen dazu beitragen, dass sich abweichendes Verhalten entwickelt und kriminelle Karrieren ihren Anfang nehmen. Zudem sind Schulen ein Ort, an dem Kriminalität – unabhängig von den Entstehungsbedingungen – in Erscheinung treten kann. Zugleich bieten sich hier aber durch die Schulpflicht, jahrelange Bildungsgänge und professionell ausgebildetes pädagogisches Personal im Idealfall beste Voraussetzungen für eine gelingende Prävention.
Die Schulen in Deutschland sind generell einem umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrag verpflichtet. Dieser ist im Grundgesetz, in den Länderverfassungen und den Schulgesetzen der Bundesländer verankert und damit obligatorisch. Der Bildungs- und Erziehungsauftrag beinhaltet auf der einen Seite die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler*innen unabhängig von der sozialen Herkunft, dem Geschlecht und der wirtschaftlichen oder sozialen Lage der Elternhäuser. Auf der anderen Seite erschöpft er sich nicht in der Vermittlung von Wissen und Unterrichtsstoff. Gleichrangig sind die erzieherischen Funktionen der Schule festgelegt, z. B. in Bezug auf die Persönlichkeitsentwicklung, die Wertevermittlung, die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit und die Befähigung zur Übernahme gesellschaftlicher und staatsbürgerlicher Rollen und Pflichten.
Um diese Ziele zu verwirklichen, müssen geeignete organisatorische und inhaltliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Jede Form von Kriminalität und abweichendem Verhalten an Schulen ist für die Zielerreichung dieses umfassenden Bildungs- und Erziehungsauftrags kontraproduktiv. Dies zeigen beispielsweise Studien über den Zusammenhang von Mobbing, Unterrichtsstörungen, Schulabsentismus auf der einen und den schulischen Leistungen auf der anderen Seite – mit Folgewirkungen für psychische Erkrankungen und Kriminalität. Daher ist Kriminalprävention eine wichtige Aufgabe von Schulen, wobei bereits an der Verhinderung scheinbar leichter Formen von Devianz, wie Mobbing, Abwertung und Ausgrenzung, angesetzt werden muss, wenn Prävention erfolgreich sein will. Die entsprechenden Maßnahmen, z. B. Unterrichtseinheiten, Projekte und Programme sind umso wirkungsvoller, je früher sie ansetzen, je stärker sie das schulische Umfeld mit einbeziehen, je breiter sie von allen Beteiligten unterstützt werden und je nachhaltiger sie sind, z. B. durch ihre Strukturiertheit und regelmäßige Durchführung oder durch Verankerung im Schulprogramm.
In vielen Schulen werden bereits kriminalpräventive Programme mit verschiedenen Ansätzen und Ausrichtungen verwirklicht. Insbesondere werden Projekte und Initiativen zur Gewaltprävention, zur Suchtprävention, zur Stärkung der Lebensbewältigungskompetenzen, zur Prävention von Risiken und Straftaten im Umgang mit Medien oder zur Extremismus-Prävention angewandt oder gefördert. Dies geschieht allerdings nicht flächendeckend und nicht immer systematisch, sondern ist derzeit überwiegend vom Engagement einzelner Schulleiter:innen und Lehrkräfte abhängig.
Der WEISSE RING fordert die Länder auf, an allen Schularten bedarfsorientiert altersgerechte Kriminalpräventionsprogramme einzurichten. Entsprechende Angebote in der ersten, zweiten und dritten Phase der Lehrerausbildung sind auszubauen. Der Nutzung von bereits evaluierten Programmen und Projekten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Bereits praktizierte und weiter auszubauende Kooperationen zwischen Schulen und anderen Akteuren der Kriminalprävention unterstützen die Verstetigung einzelner Aktivitäten (Grüne Liste Prävention).
Forderungen
- Intensivierung der systematischen Präventionsarbeit in der Schule, auch in Zusammenarbeit mit anderen Netzwerkpartnern
- Verbesserung der Zusammenarbeit von Schule, Elternhaus und Jugendarbeit; verbesserte Angebote für Elternbildung und Ausbau der Schulsozialarbeit
- Verankerung der Kriminalpräventionsprogramme in der ersten, zweiten und dritten Phase der Lehrerausbildung
7. Kriminalpräventionspolitische Forderungen an zivilgesellschaftliche Organisationen
Zivilgesellschaftliche Organisationen sind bei der Gestaltung kriminalpräventiver Maßnahmen weitgehend unabhängig. Einfluss kann durch die Formulierung einschlägiger sozialer Normen genommen werden. Eine „Ethik der Kriminalprävention“ sollte Qualitätsstandards für Projekte mit kriminalpräventiver Zielsetzung festlegen, so dass sich Nutzer mit geringem Aufwand über Stärken und Schwächen von Präventionsprogrammen informieren können. Eine Orientierung bieten die Beccaria-Standards (www.beccaria.de), die Grüne Liste Prävention (www.gruene-liste-praevention.de) sowie der Wegweiser Prävention (www.kriminalpraevention.de).
Forderungen
- Unterstützung von Programmen zur Kriminalprävention, deren Wirksamkeit begründet ist
- Förderung von innovativen Projekten, die hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft werden
8. Vernetzung und Koordination
Kriminalpräventive Aktivitäten sollten vernetzt erfolgen und koordiniert werden. Wenn Kriminalprävention gelingen soll, ist die Ansiedlung dieser Koordinierungsstellen bei den Verantwortlichen gemäß der Devise „Prävention ist Chefsache“ erforderlich. Das bedeutet, dass etwa bei Polizeidienststellen und Schulen grundsätzlich die Leitungsebene in der Pflicht ist. Entsprechendes gilt für die Kommunen. Auf der Ebene der Länder und des Bundes müssen die Regierungen ressortübergreifend Verantwortung dafür übernehmen, dass Prävention in ihrem Verantwortungsbereich gelingt. Integrative Kompetenz hochrangiger Entscheidungsträger:innen schafft günstige Ausgangsbedingungen für die gesellschaftliche Akzeptanz und das Gelingen von Kriminalprävention.
Kriminalpräventive Aufgaben betreffen viele Bereiche. Auf kommunaler Ebene beispielsweise werden in der Regel Polizei, Schulen, Kinder- und Jugendhilfe, Gerichte, Ordnungsamt, Abteilungen für Stadtplanung, Stadtentwicklung, Tourismus, Wirtschaftsförderung einbezogen. Aufgrund dieser Komplexität sind Koordinierungsstellen notwendig, die kriminalpräventive Maßnahmen planen, umsetzen und koordinieren. Hierfür gibt es auf örtlicher oder regionaler Ebene bereits vielfach unterschiedlich organisierte Gremien der kommunalen Kriminalprävention, die sich behörden- und institutionsübergreifend relevanter Kriminalitätsfelder annehmen. Auf Ebene der Bundesländer haben Landespräventionsräte oder vergleichbare Gremien diese Aufgabe übernommen.
Forderungen
- Einrichtung von Koordinierungsstellen für Kriminalprävention in allen betroffenen Bereichen und auf allen Ebenen
- Anbindung der Koordinierungsstellen nach dem Prinzip „Kriminalprävention ist Chefsache“
9. Evaluierung kriminalpräventiver Projekte
Kriminalpräventive Maßnahmen sollten hinsichtlich ihres Verlaufs und ihrer Wirkung evaluiert werden. Die Orientierung an Standards zur Qualitätssicherung kriminalpräventiver Projekte sollte verbindlich werden.
Forderung
- Evaluierung kriminalpräventiver Maßnahmen hinsichtlich Verlauf und Wirkung