„Zunächst einmal geht es darum, zuzuhören“
Christian Jahn-Pabel, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Außenstelle Hameln-Pyrmont, Opferhelfer seit 1982
Wir sind da, wo Sie uns brauchen
Wenn Sie unsere Unterstützung brauchen, haben wir bundesweit Außenstellen in 18 Landesverbänden eingerichtet. Geben Sie einfach Ihre Postleitzahl ein – so finden Sie die zuständige Außenstelle.
So helfen wir vor Ort
Trickdiebstahl, Mobbing oder Mord: Jeder Fall liegt anders und wiegt unterschiedlich schwer. Welche Unterstützung Betroffene benötigen, hängt zudem in großem Maß von persönlichen Umständen ab. Wir haben deshalb kein festes Schema, wie wir helfen, sondern viele verschiedene Möglichkeiten und Ideen.
Wenn Sie sich an uns wenden, stehen offene Ohren und Zuwendung am Anfang und im Mittelpunkt der Hilfe. Auf dieser Basis finden wir gemeinsam heraus, welche Unterstützung Sie noch brauchen und was Ihnen helfen kann, langfristig mit den Tatfolgen zu leben – egal ob diese seelischer, materieller oder gesundheitlicher Natur sind. Die Richtlinien, nach denen wir vorgehen, können Sie in der folgenden Broschüre nachlesen:
Hilfe nach Maß
Wie unsere Hilfe konkret aussehen kann, zeigt sich am besten an realen Fallgeschichten. Diese sind beispielhaft zu verstehen. Wir helfen Ihnen gern, natürlich auch wenn Sie von anderen als den hier erwähnten Verbrechen und Vergehen betroffen sind! Unsere Helferinnen und Helfer sind alle ehrenamtlich tätig und für diese Tätigkeit umfangreich ausgebildet.
Fallgeschichten: Wie der WEISSE RING helfen konnte
Handtaschenraub mit Folgen
Während eines Einkaufs im Supermarkt fällt Frau T. eine Gruppe Frauen und Kinder unangenehm auf. „Die Kinder sind mir schon an der Kasse auf die Pelle gerückt“, erzählt die Rentnerin. Als sie auf dem Parkplatz die Einkäufe im Auto verstaut, turnen die Kinder wieder um sie herum, irritieren sie. Plötzlich entreißt ihr eine der Frauen die Handtasche von der Schulter und lässt sie in einem der Kinderwagen verschwinden. Dann flüchtet die Gruppe. In der Handtasche befinden sich das Portemonnaie mit 460 Euro und die EC-Karte.
Die Polizei nimmt eine Anzeige gegen Unbekannt auf, kann ansonsten aber nicht helfen. Frau T. wendet sich an den WEISSEN RING. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter hört ihr zu, spricht ihr Mut zu, unterstützt beim Ausfüllen des Antrags der Versicherung. Als sich herausstellt, dass der Versicherungsschutz Handtaschenraub nicht abdeckt und Frau T. nicht weiß, wie sie nun die Miete für den Monat bezahlen soll, hilft der WEISSE RING durch eine finanzielle Zuwendung.
Aber die Rentnerin hat auch noch mit anderen Folgen der Tat zu kämpfen. „Die Angst ist immer da“, sagt sie selbst. Abends traut sie sich nicht mehr aus der Wohnung, und selbst dort fühlt sie sich nicht immer sicher. Um ihr zu helfen, mit der Angst umzugehen, erleichtert der WEISSE RING Frau T. deshalb noch den Zugang zu psychologischer Beratung durch einen Hilfescheck für eine psychotraumatologische Erstberatung.
Betreuung eines Nothelfers, der selbst Opfer wurde
Nils H. ist ein hilfsbereiter Mensch. Als er am Neujahrstag 2012 sah, wie auf der Straße ein Mann einen anderen brutal zusammenschlug, wollte er Schlimmeres verhindern. Er lief hin und rief immer wieder, der Schläger solle sofort aufhören. „Stattdessen hat er sich zu mir umgedreht und mir ohne zu zögern einen gezielten, sehr harten Schlag aufs rechte Auge verpasst“, erinnert sich der junge Mann. „Ich habe sofort gemerkt, dass etwas kaputt gegangen ist, und habe versucht zu flüchten.“ Doch der Täter holte ihn ein, riss ihn zu Boden und schlug und trat ständig auf ihn ein – immer gezielt aufs Gesicht.
Über gesetzlichen Schutz für Nothelfer aufgeklärt
Nils H. kam erst wieder zu sich, als der Notarzt neben ihm kniete. Frakturen im Gesicht und die Schäden am Auge erforderten Operationen und einen Krankenhausaufenthalt. Die Polizei empfahl ihm, sich an den WEISSEN RING zu wenden. Ein Mitarbeiter betreute den jungen Mann umfassend. Er stand Nils H. in allen Fragen mit Rat und Tat zur Seite und klärte ihn über den gesetzlichen Schutz für Nothelfer auf. Denn Nils H. stehen nicht nur Leistungen nach dem Sozialen Entschädigungsrecht (SGB XIV) sondern primär Leistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung zu. Außerdem gab der Opferhelfer Nils H. einen Beratungsscheck für die Erstberatung bei einem Anwalt. Für diese Unterstützungsmaßnahmen ist Nils H. bis heute sehr dankbar: „Der WEISSE RING war die ganze Zeit über für mich da. Die Mitarbeiter haben mir sehr geholfen in der schweren Zeit.“
Unkonventioneller Einsatz für Trickdiebstahl-Opfer
Es klingelte an der Haustür und eine Frauenstimme an der Gegensprechanlage sagte: „Ich habe Blumen für Sie, würden Sie bitte kurz runterkommen?“ Elfriede B. dachte an einen verspäteten Geburtstagsgruß, zog die Wohnungstür hinter sich ins Schloss und stieg die vier Stockwerke zur Haustür hinunter. Als sie dort den schon welken Blumenstrauß in der Hand der Botin sah, ahnte sie, dass etwas nicht stimmte. Kurz angebunden lehnte sie die Blumen ab und eilte wieder nach oben. Die Wohnungstür war geschlossen, das Portemonnaie lag auf dem Tisch, das Geld war noch da. Die 74-Jährige war sehr erleichtert. Erst am nächsten Morgen stellte sie fest, dass sie doch einem Trickdiebstahl zum Opfer gefallen war: Als sie für den Kirchgang eine goldene Kette anlegen wollte, lag nur noch wertloser Modeschmuck in ihrer Schmuckschatulle. Ketten, Ohrringe, Armbänder, eine Rolex-Uhr, die ihr ihr Mann 45 Jahre zuvor zur Hochzeit geschenkt hatte – alles weg. Persönliche Erinnerungsstücke, deren ideeller Wert noch weit höher war als der Versicherungswert.
Briefliches Plädoyer für Kulanz
Elfriede B. rief die Polizei, die vermutete, dass der Täter bereits oben hinter einem Mauervorsprung gewartet hatte, als die Rentnerin hinunter gelockt worden war. Wie genau er in die Wohnung gelangt war, ließ sich nicht mehr rekonstruieren. Die fehlenden Einbruchsspuren führten dazu, dass die Versicherung die Schadensregulierung verweigerte.
Die Betroffene wandte sich an den WEISSEN RING. Der ersetzt zwar keinen Schmuck. Doch die Außenstellenleiterin wollte die bedrückte, alte Dame nicht mit dem Schaden alleine lassen. Sie schrieb daher die Versicherung an und berichtete, dass Elfriede B. ehrenamtlich Mitbewohner betreue, die weniger rüstig seien als sie selbst. „Als sie per Sprechanlage unter falschem Vorwand zum Haupteingang gebeten wird, ist es für sie selbstverständlich und spontan, dies zu tun. Und ebenso selbstverständlich und lebensnah ist es, für diese kurze Angelegenheit nicht die Fensterklappen und Türen einzeln und ausgiebig abzuschließen.“ Elfriede B. habe die Tür ins Schloss gezogen und kurz darauf, als sie die Überbringerin und deren vertrockneten Blumenstrauß erblickte, auf dem Absatz kehrtgemacht.
Weiter wies die Opferhelferin in dem Brief darauf hin, dass sich Elfriede B. durch die Ablehnung der Versicherung in ihrer persönlichen Integrität verletzt und als „Versicherungsschnorrerin“ abgestempelt fühle. Dabei habe sie gleich nach dem Trickdiebstahl umsichtig für einen warnenden Aushang in den Treppenhäusern der Wohnanlage gesorgt. Abschließend stellte die Außenstellenleiterin fest: Auch wenn die Ablehnung vertragsbedingt sei, als „vertragsgerecht“ werde sie nicht empfunden. Deshalb bat sie um wohlwollende Prüfung und Kulanz im Sinne einer Schadensverringerung. Die Versicherung schlug daraufhin bereits nach wenigen Tagen vor, ein Viertel des Wertes zu ersetzen. Elfriede B. konnte sich somit als Opfer ernstgenommen fühlen und bekam immerhin einen Teil des Schadens zurückerstattet.
Umfangreiche Unterstützung nach Tötungsdelikt
In einer kleinen Bäckerei lernte der 52-jährige Robert M., Bote bei den Stadtwerken, Lisa L. kennen. Die beiden kamen ins Gespräch – und wurden schließlich ein Paar. Für beide ein großes Glück nach langen Zeiten der Einsamkeit. „Mein Sohn hatte nach langem Suchen endlich die richtige Frau gefunden“, erinnert sich Roberts Mutter, Irene M. „Einmal rief er mich an und sagte: Ich habe jetzt nicht nur eine wunderbare Partnerin bekommen, sondern auch noch zwei reizende Töchter, eine richtige Familie!“ Lisa L. brachte Laura und Luise, 13 und 17 Jahre alt, mit in die Beziehung.
Mord aus rasender Eifersucht
Die Bäckereiverkäuferin war damals noch mit dem Kellner Antonio L. verheiratet, obwohl dieser nur selten nach Hause kam, seit Jahren eine Beziehung zu einer anderen Frau unterhielt und mehrere außereheliche Kinder gezeugt hatte. „Der Kinder wegen war ich bei ihm geblieben“, sagt sie. Bei Robert M. findet Lisa L. endlich die Wärme, die sie so lange vermisst hat. Auch Laura und Luise schließen den neuen Freund ihrer Mutter ins Herz. Antonio L. jedoch verfällt in rasende Eifersucht, als er von der neuen Beziehung seiner Frau erfährt. Immer wieder steht er etwa mit einem Messer vor der Bäckerei und droht: „Wenn du ihn nicht verlässt, schneide ich dir die Kehle durch!“ Auch Robert M. bedrängt und bedroht er.
„Ich war so weit, dass ich die Beziehung zu Robert beenden wollte, nur um endlich wieder Ruhe zu haben“, erzählt Lisa L. „Aber Robert hat mir erklärt, dass das eine Kapitulation wäre. Dass ich nicht mein ganzes Leben aufgeben darf, nur um einen gewalttätigen Stalker zufriedenzustellen.“ Antonio L. gibt eine Zeitlang Ruhe. Seine Frau hat die Scheidung eingereicht, ihrem Ex-Mann den Wohnungsschlüssel abgenommen Doch eines frühen Morgens lauert Antonio L. wieder vor der Tür, als Lisa in die Bäckerei gehen will. Er schlägt seine Frau mit einer Eisenstange nieder, verschafft sich gewaltsam Zutritt zur Wohnung und erschießt Robert M.
Beratungsschecks, Finanzhilfen und mehr
Seit dem furchtbaren Morgen betreut eine Mitarbeiterin des WEISSEN RINGS Lisa L. und ihre Töchter sowie die Eltern des Mordopfers. Dies bedeutete emotionale, aber auch finanzielle Unterstützung für Lisa L., nachdem die Mutter mit ihrem Bäckereigehalt nun alleine dastand: Der WEISSE RING ermöglichte der Familie, aus der Tatwohnung auszuziehen, und verschaffte Lisa L. eine kostenlose juristische Erstberatung – dieselbe Anwältin vertrat Lisa L. dann als Nebenklägerin. Weiterhin half die Außenstelle beim Antrag auf Soziale Entschädigung und sorgte durch den psychotraumatologischen Erstberatungsscheck dafür, dass Mutter und Töchter psychologische Unterstützung erhielten.
Darüber hinaus leistete der WEISSE RING Beihilfe zu den Bestattungskosten und finanzierte für die traumatisierte Lisa und ihre Töchter eine Erholungsmaßnahme an der Ostsee, um sich von der schrecklichen Tat erholen zu können. „Alles, was man in dieser Situation tun konnte, hat der WEISSE RING für uns getan“, sagt Roberts Mutter dankbar. „Aber am allerwichtigsten war der persönliche Beistand von der Außenstelle. Sie war ständig für uns verfügbar. Wenn wir nicht weiter wussten, haben wir sie jedes Mal angerufen. Und immer wussten die Mitarbeiter Rat.“ Als Lisa L.s Töchter den Nachnamen des Täters nicht mehr tragen wollten, half der WEISSE RING , die Kosten für die Namensänderung aufzubringen, die für die alleinerziehende Mutter sonst nicht erschwinglich gewesen wäre. Schließlich begleitete die Außenstellenleiterin die Opfer auch vor Gericht. Sie verfolgte die Urteilsverkündung und konnte den Angehörigen die erleichternde Nachricht überbringen: Der Mörder wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Schritte aus der Verzweiflung nach jahrelangem Missbrauch
Renate F. blickt auf eine schreckliche Zeit zurück. Jahrelang hat sie ihr Stiefvater missbraucht und dadurch auch ihre Seele misshandelt. Ihr Leben erscheint ihr bis in alle Zukunft verpfuscht. Gefühle zulassen kann sie nicht, schon bei einer Berührung wird ihr kalt. Eine Beziehung beginnen oder wenigstens Freundschaften aufbauen – unmöglich. Das ist noch heute so.
Dennoch hat sie begonnen, sich von der Last der Vergangenheit zu befreien. Renate F. hat gelernt, über ihr langes Leid und die schweren Folgen zu sprechen, mit Ärzten, mit Therapeuten, in der Selbsthilfegruppe. Sie versucht aktiv, Hilfe zu finden, und denkt darüber nach, an ihrem neuen Wohnort selbst eine Selbsthilfegruppe für Missbrauchsopfer zu gründen.
Den Startschuss zu dieser Entwicklung gab ein Zeitungsartikel über den WEISSEN RING. Renate F. wandte sich an die Organisation – und erfuhr von einer Mitarbeiterin, dass es vielen Menschen ähnlich geht wie ihr, dass die seelischen und mitunter körperlichen Schäden durch den Missbrauch die Betroffenen bis ins Erwachsenenalter verfolgen. Die Mitarbeiterin betreute Renate F. umfassend. Sie machte ihr klar, dass es für das Opfer keinen Grund gibt, sich der Taten zu schämen. Sie stand ihr mit Rat und Tat zur Seite, auch beim Ausfüllen des Antrags auf Soziale Entschädigung. Als die Versorgungsverwaltung den Antrag ablehnte, gewährte der WEISSE RING Rechtshilfe und bezahlte einen Anwalt, der schließlich erhebliche Entschädigungsleistungen für Renate F. durchsetzen konnte.
Beweissicherung nach Vergewaltigung
Als Nina W. nachts nach Hause kommt, lauert ihr Ex-Partner ihr vor Haustür auf. Er schlägt sie, vergewaltigt sie und verletzt sie erheblich. In ihrer Verzweiflung und Ratlosigkeit kontaktiert sie umgehend den WEISSEN RING.
Weil sie sich vom Täter und dessen Familie weiterhin akut bedroht fühlt, will Nina W. zunächst keine Strafanzeige erstatten. Allerdings kann sie sich vorstellen, dies später nachzuholen. Aufgrund der Bedrohungslage will sie ohnehin bald umziehen, danach könnte sie vermutlich eher den Mut aufbringen.
Das Problem in dieser Situation: die Beweissicherung. Ohne Strafanzeige können die Ermittlungsbehörden keine rechtsmedizinische Untersuchung veranlassen – ohne zeitnahe Untersuchung und Dokumentation würden die Beweise aber verlorengehen. Der WEISSE RING händigt Nina W. deshalb einen rechtsmedizinischen Untersuchungsscheck (RMU) aus und gibt ihr die Adresse des nächstgelegenen rechtsmedizinischen Instituts. Nina W. kann somit die eigentlich kostenpflichtige rechtsmedizinische Untersuchung vornehmen lassen. Dabei werden die Spuren der Vergewaltigung und die Verletzungen beweiskräftig dokumentiert.
Nachdem Nina W. eine neue Wohnung gefunden hat, fasst sie sich tatsächlich ein Herz und zeigt den Täter an. Bei den anfallenden Behördengängen und Anträgen kann sie ebenfalls auf die Unterstützung durch den WEISSEN RING zählen.
Seit dem 01.03.2020 müssen übrigens die gesetzlichen Krankenversicherungen die Finanzierung der vertraulichen Spurensicherung für Betroffene von sexualisierter und körperlicher Gewalt nach § 27 SGB V übernehmen. Finanziert wird dabei eine vertrauliche Spurensicherung nach erlebter Gewalt einschließlich Dokumentation, Laboruntersuchungen und Aufbewahrung der Befunde. Es ist Sache der Bundesländer dafür zu sorgen, dass die vertrauliche Spurensicherung flächendeckend möglich ist und dafür ausreichend niedrigschwellige Angebote bereitgestellt werden.